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Die Kunst-Akademie und ihr Zusammentreffen mit dem herrschenden Sozialen


Die subjektivistische Axiologie (Wertbehauptung) ist leer, da sie die Systematisierung des gesellschaftlichen Rahmens vernachlässigt, in dem ihre Wertaussagen verankert wären. Der springende Punkt ist, daß man derartige Paradigmen wie die Galerie, kritische Theorie, Bücher, Kunstzeitschriften und dergleichen als konstitutive Züge einer Kunstwelt hervorzuheben hat, nicht als beiläufige. Was immer sie ist: Kunst läßt sich nicht als Abteilung aus individualistischen "Erkenntnissen" bestimmen. Die Tätigkeiten eines individuellen Kunstwerk-Herstellers sind von einer öffentlich, historisch und kulturell festgelegten "Kunst" abhängig, nicht umgekehrt. Macht sich der Künstler glauben, es verhalte sich umgekehrt, wird er einfach kulturell harmlos.

(Ian Burn/Mel Ramsden: "Der Künstler als Opfer", aus "Über Kunst. Künstlertexte zum veränderten Kunstverständnis nach 1965“)

 

1. Ein Wendepunkt:
Die Synchronisation der Felder

Er redete; aber ein Brausen übertönte seine Stimme, obwohl man ihn eben noch geliebt hatte, haßte man ihn jetzt, denn er stellt die Autorität dar. Sooft er versuchte, sich zu Gehör zu bringen, begann das Schreien von neuem. Mit großen Bewegungen forderte er die Studenten auf, ihm zu folgen. Ein allgemeines Johlen anwortete ihm. Da zuckte er verächtlich die Schultern und trat in den Gang ein... "So ein Feigling!" sagte Frederic. "Er ist vorsichtig", erwiderte der andere. Die Menge brach in Beifallstoben aus. Der Rückzug des Professors war zu einem Sieg für sie geworden.

(Gustav Flaubert, L'education sentimentale.
Histoire d'un jeune homme. Novembre 1869)

Zwei Jahre vor "Lidl" und der damit verbundenen Akademieschließung, kommt es am 2. Juni 1967 zu einem "Wendepunkt im Denken und Fühlen vieler, nicht nur der Studenten" [1] . An diesem Tag wird in Berlin anläßlich des Schah-Besuchs von Reza Pahlevi der Student Benno Ohnesorg hinterrücks durch einen Polizei-Kopfschuß getötet. Im Anschluß daran, bildet sich trotz Demonstrationsverbot heftiger Widerstand, welcher für einige Tage mit Aufklärungsaktionen in Berlin eine Gegenöffentlichkeit zu den staatlichen Ausgrenzungs- und Repressionsstrategien herzustellen versucht. Drei Tage später, anläßlich der Beerdigung Ohnesorgs, warnt Habermas an der Technischen Hochschule Hannover vor zu großer Herausforderung der "Gewalt der Institutionen", sowie einer Art "linker Faschismus", der sich in Gewaltaktionen enthülle. Dutschke dagegen hofft,

"daß (...) räteartigen Gebilde an allen westdeutschen Universitäten in den nächsten Tagen gegründet werden, denn die rationale Bewältigung der Konfliktsituation in der Gesellschaft impliziert konstitutiv die Aktion, wird doch Aufklärung ohne Aktion schnell zum Konsum" [2] .

Vierzehn Tage später, am 22. Juni 1967, 16.00 Uhr gründet Beuys die ‘Deutsche Studentenpartei’ (DSP/später ‘Fluxus Zone West’) [3] . Obgleich sie während der folgenden Jahre nie mehr als 20 Mitglieder hat, wird sie schnell zu einer der polarisierenden Kräfte innerhalb der Akademie [4] . Die Schaffung politischer Kategorien, sowie der Gebrauch eines entsprechenden Vokabulars [5] , führen zu einem gemeinsamen politischen Problembewußtsein, in dem die spezifische Sichtweise und Gliederung der sozialen Welt tendenziell gegenüber allen anderen Prinzipien obsiegt. Jeder muß sich innerhalb des Raumes situieren oder wird situiert. Indem die Krise und ihre Politisierung dazu zwingen, alle Stellungnahmen auf die in einem bestimmten Feld eingenommenen Positionen hin zu organisieren, ersetzt sie die stete Verteilung zwischen zwei Polen und die teilweise widersprüchlichen Mehrfachzugehörigkeiten durch die Trennung in klar geschiedene Felder. Der von ihr ausgehende Zwang, in allen Fragen nach einem Prinzip zu entscheiden, Ausflüchte und Vorwände nicht mehr gelten zu lassen, macht die Politisierung zu einem Medium der Enthüllung. Indem sie dazu zwingt, sich (öffentlich) zu entscheiden, und indem sie mehr und mehr Situationen schafft, in denen auch Nicht-Wählen Ausdruck einer Wahl ist, plaziert sie ihre Einschnitte tief ins Diffus-Verschwommene. Jede Gruppe zeigt, was zutiefst in ihr steckt, was ‘ihre innerste Tendenz’ ist. Ohnesorgs Tod hatte die Felder synchronisiert (Bourdieu beschreibt in ‘Homo academicus’ (1984) umfassend die Krise von Kapitalbildungsprozessen im universitären Feld Frankreichs im Mai 68.).

2. Die Krise: ‘discrediting events’

Düsseldorf, 6.Mai 1969

Verlaßt diese Scheißakademie

Nun muß es auch dem Dümmsten dämmern, daß es Professoren und Studenten gibt, daß in der Kunstakademie Kunst gemacht wird, daß es Bullen gibt, daß drei der Professoren keine echten Deutschen sind, daß der Hausmeister die Türen mit dem MG bewacht, daß wir öffentlich onanieren müssen, daß die Akademie durch CIA-Gelder finanziert wird, daß sie keinen eigenen Flugplatz hat, daß sich Professoren allein in der letzten Woche zweimal in den Gängen geprügelt haben, daß ausgerechnet am 21. August Ferien waren, daß die Akademie keine Carepakete schickt, daß es keinen Haschautomaten gibt, daß während 0,3% der Studierenden aus Arbeiterfamilien stammen, 99,7% Kinder von Großgrundbesitzern und Adligen sind, daß die Rocker immer noch in der Minderheit sind, daß von Professoren während der Konferenz mit AStA-Geldern homosexuelle Orgien gefeiert werden, daß der Bundeskanzler öffentlich von mehreren Professoren wiederholt "Nazischwanz" genannt wurde, daß die Professoren oft nackt sind, daß minderjährige Aktmodelle in den Pausen ficken müssen, daß Professor A.A. dreimal in den Studentenumkleideräumen ertappt wurde, während er sich Wertsachen aneignete, daß Prof. C.T. alle Studentinnen mit Hure anredet, daß in dem Keller der Akademie Tausenden von Kommunisten unter unmenschlichen Bedingungen Unterschlupf gewährt wird, daß die Öffentlichkeit über die herrschenden Zustände wissentlich falsch informiert wurde, daß sich im 3. Stock im zweitletzten Zimmer hinter der Heizung ein illegaler Sender befindet, daß morgens immer wieder Studentinnen gefoltert, gequält und vergewaltigt in den Toiletten aufgefunden werden.

Wir fordern die Deutsche Bundesregierung auf, die Akademie sofort zu schließen!

DIES IST DAS LETZTE FLUGBLATT!Wer hiernach weiter die Akademie betritt, ist ZUM KOTZEN!Schafft 1, 2, 3, ... viele Akademien...............weg!
FICKT DIE AKADEMIEN IN DEN ARSCHgez.: KAA (Komitee für den Auszug aus der Akademie)

Ein Jahr vor Ohnesorgs Tod sind von dem damaligen Professor Köngeter Fragen einer studentischen Mitbestimmung aufgeworfen worden, ohne daß der AStA oder Beuys die angebotene Gelegenheit zur Mitarbeit angenommen hätten. Köngeter war damals Mitglied eines Ausschusses zur Erarbeitung einer neuen Akademie-Verfassung - die alte datierte auf 1831 -, dem auch die Professoren Götz, Weber, Bobek und Sackenheim angehörten.  Ein Memorandum von Hoehme plädiert noch vor Gründung der DSP am 25. Januar 1967 für eine vollständige Öffnung der Akademie, für die Auflösung der Abteilungen, die Integration von neuen Studienfächern, sowie für eine "Realisation in die Gesellschaft hinein ...". Fünf Monate später haben sich die Kräftefelder durch die Gründung der DSP verändert. Die frühen Versuche der Professoren werden übernommen und radikalisiert. Noch im gleichen Jahr wird auf Druck der Verhältnisse versuchsweise eine Art studentische Mitbestimmung eingeführt. Parallel zu ersten politischen Infragestellungen, häufen sich 1968 paradoxe Diskurse und Handlungen - ‘discrediting events’ - die die herrschenden Verhältnisse und die normale Ordnung (im Sinne von Bourdieus Doxa) nachhaltig erschüttern.

Symbolische Provokationen wie die Gründung der ‘Lidl-Akademie’ durch 25 Studenten (u.a. Jörg Immendorff) und andere ‘Happenings’ [6] , vielfältige Techniken des Protestes, wie Demonstrationen als kollektive Regelverstöße, Besetzung reservierter Räume, Umfunktionieren sozialer Objekte und Orte zu Zwecken außerhalb des Gewohnten, bis hin zu Streiks und der Pflege ‘sonntäglichen Lebens’, Plakataktionen [7] aber auch Gegen Aktionen, das Abreißen solcher Plakate, Leserbriefaktionen und Gegenplakate, verschärfen im laufenden Jahr die Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen und Professoren [8] . Die Auseinandersetzungen um den ‘numerus clausus’, Forderungen wie "Aus Platzmangel: Weg mit den Professoren" bis hin zu "Akademie ohne Professoren ist keine", münden Mitte November in einem Schreiben an den Akademiedirektor. Dieses muß durch Indiskretion am 12.11.68 öffentlich gemacht werden:

"Die unterzeichnenden Professoren (10 von 21) sind der Auffassung, daß die Kunstakademie einer sie in ihrer Existenz bedrohenden Krise entgegengeht. Urheber dieser, die innere wie die äußere Ordnung der Hochschule gefährdenden (...) Entwicklung, ist ein Ungeist, der im wesentlichen aus dem Ideenkreis und dem Einfluß von ... Beuys stammt. Anmaßender politischer Dilettantismus, Sucht nach weltanschaulicher Bevormundung, demagogische Praktik und - in ihrem Gefolge - Intoleranz, Diffamierung und Unkollegialität zielen auf die Auflösung gegenwärtiger Ordnungen, greifen störend in künstlerische und pädagogische Bereiche ein und erniedrigen, bewußt verletzend, menschliche Werte (...). Mit Hilfe der DSP (...) hat Joseph Beuys einen bedenklichen Einfluß auf die Reformbewegung unseres Hauses genommen. Mitbestimmung (...) verfällt zunehmend utopischen und anarchistischen Argumentationen und wird zum Sprachrohr dieser Ideologie. Konferenzen arten aus in pseudopolitisches Geschwätz und provokatorische Kritik, die sich zu unrealistischen Forderungen steigern, wobei eine offene Feindseligkeit gegen die parlamentarische Demokratie zutage tritt. Angesichts der heutigen alarmierenden Situation halten wir eine Überprüfung des Vertrauensverhältnisses [zu Beuys] für notwendig. Wir selbst erklären, daß wir Herrn Joseph Beuys das Vertrauen entziehen müssen."

Kricke schreibt in der "Zeit" vom 20. Dezember 1968 u.a.:

"(...) Beuys und seine Schüler schwärmen. Fanatisierte Jünger des Meisters durchlaufen die Akademie wie ferngelenkte Medien, tuscheln und rascheln und zeigen eine insektenhafte Aktivität, sind clever, eifrig und emsig wie Maos kleine Chinesen (...)."

Einen Monat später protestierte auch Bobek in einem umfangreichen Brief [9] an den Deutschen Journalisten-Verband und meint:

"Beuys hat zur Zeit 49 Schüler. Vor der Gründung der DSP lag seine Klassenfrequenz um 16 - 18 Schüler, vergleichsweise niedriger als die Klassen des Künstlerischen Lehramts. Der Schluß liegt nahe, daß seine politischen Aktivitäten seine Klassenfrequenz ansteigen läßt".

Weiter schreibt er, daß Beuys eine wesentliche Vereinbarung des Kollegiums über Gebühr strapaziert hat, nämlich die Möglichkeit Bewerber auch während des Semesters in ihre Klassen aufzunehmen, - wen, wann, wieviele auch immer.

Diese wesentliche Vereinbarung im Selbstverständnis der Akademie wird durch Beuys nicht nur entwertet, sondern veränderte in nur drei Jahren die soziale Zusammensetzung der Akademie. Auch Hoehme sieht die Gefahr,

„daß - bei der Bedenkenlosigkeit der Mittel, mit denen meiner Meinung nach Beuys seinen Einfluß in der Hochschule zu vergrößern trachtet - die Beuys-Klasse zu einem Sammelbecken künstlerisch gar nicht Engagierter aber politisch Unzufriedener werden könnte".

Und im gleichen Brief zitiert Bobek eine Konferenz vom 16.10.68, in der Beuys die Forderung Dieter Rots [10] und Stüttgens mitvertrat,

"alle Studienbewerber ohne Ausnahme, auch Sextaner" (Rot)  ohne Prüfung zu immatrikulieren, "damit das Haus platzt und man damit den Kultusminister boykottieren könne" (Stüttgen).

Zwischen 1968 und 1970 verdoppelt sie sich die Zahl der Studierenden auf 720. Der völlige Wegfall der Eignungsprüfung bewirkt 1970 einen Ansturm [11] von Neuimmatrikulierten, die Mitte Oktober in einer Ansprache vor der Situation gewarnt und indirekt ersucht werden, von einem Kunststudium ganz zurückzutreten. Verschärft wird diese Situation dadurch, daß Beuys seit drei Jahren den zusätzlichen ‘numerus clausus’ der Klassenzugehörigkeit ausgesetzt hatte. Durch den Wegfall aller Selektionsinstrumente, kommt es zwischen '67 - '70 zu einem prozentualen Anstieg von Studierenden aus anderen Klassen sowie zur Erosion der bis dahin herrschenden sozialen Homogenität. Innerhalb dieser drei Jahre beginnt die "Öffnungskrise" für die Reproduktion der Akademie eine "echte" Gefahr darzustellen. Die durch die Akademie gesetzte Form der Unterwerfung, Anpassung und Bindung an die herrschende Ordnung war so nicht mehr garantiert.

3. Die Entlassung: "Demokratie ist lustig"

 Im Juni 1970 besetzt Beuys mit 50 Studenten die Tribüne des Düsseldorfer Ratsaals und verlangt eine Diskussion über die Wohnungsnot der Akademieschüler. Nach Unterbrechung der laufenden Sitzung wird die Tribüne polizeilich geräumt.

Parallel zu dem starken Anstieg der Studierenden entsteht aus Kapazitätsproblemen die Forderung nach einer ‘Klassenauflösung’. Das praktizierte ‘Meister-Schüler-Verhältnis’ würde einem an Universitäten üblichen Verfahren weichen: Jeder Studierende kann sich ohne Unterschrift des Professors immatrikulieren. Da die anderen Klassenleiter rigoros auf ihren Klassengrößen beharren, bleibt einem Großteil der Studenten nichts anderes übrig, als sich bei Beuys einzuschreiben. Kricke glaubt zu dem Zeitpunkt nicht mehr als 10 Studenten unterrichten zu können. Sackenheim akzeptiert 54 Schüler. Beuys hält dagegen: "Meine Kapazität ist unbegrenzt". Seine Klasse hat bereits 138 Studierende. Im Mai 1971 veröffentlicht der AStA eine Umfrage unter den Klassenleitern, Kunstwissenschaftlern und Werkstattsleitern, die nur von 12 der Angesprochenen beantwortet wird. Aus den erschlossenen Daten, - z.B. wer hat wieviele Studenten? (zwischen 9 - 200), wieviele Studenten arbeiten an der Akademie? (22%), wieviele Professoren gestehen ihren Studenten Arbeitsplätze in ihren privaten Ateliers zu? (3) usw., - werden nichtausgelastete Kapazitäten errechnet und Fragen zu Zugangsbeschränkung und Stellung der Kunstakademie im Bildungssystem abgeleitet. Mitte Juli werden durch eine provisorisch wiedereingesetzte Mappenkommission 142 Bewerber für das Künstlerische Lehramt abgelehnt. Beuys protestiert und bietet den Abgewiesenen ein Probesemester in seiner Klasse an. Am 5. August erklärt er in der Presse in einem Offenen Brief an den Direktor, daß er jetzt und in Zukunft jede Form eines rechtswidrigen Eingriffs in seine Lehrfreiheit zurückweist.

"Das“, so Beuys, „gilt auch für jede Vorschrift bezüglich der Schülerzahl unserer Klasse. Dasselbe gilt für jede andere Vorschrift, die das Prinzip dieser Freiheit antastet. (...) Wir befinden uns in einer Notsituation. Ich will ein krankes System schildern und versuchen, so gut es geht, darin zu arbeiten. Die Schule hat eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Der Begriff Freiheit spielt hier eine wesentliche Rolle. Ich halte es für meine Pflicht, Schüler, die in meine Klasse wollen, zunächst nicht abzuweisen. Ich weiche nur, wenn man mit Panzern vor der Akademie auffährt!"

Tatsächlich liegt es laut Konferenzbeschluß in seinem Ermessen, die Größe seiner Klasse selber zu bestimmen, d.h. so kann er wie andere nur 6 Studenten oder weniger, eben 200 oder mehr unterrichten.

Diese Übereinkunfte beruhen aber ganz wesentlich auf dem Konformismus der Professoren untereinander, sowie ihrem Drang, Funktionalität und Reproduktion der Akademie in Bezug auf das Wissenschaftsministerium aufrecht zu erhalten und von ihren Möglichkeiten nur insofern Gebrauch zu machen, als sie in "konstruktivem Sinne" [12] "der Sache" nicht zuwider laufen.

Das Wissenschaftsministerium (Wimi) reagiert umgehend und erklärt die 142 Bewerber für abgewiesen. Als Kompromißlösung wird die mögliche Gründung eines Kunsterzieherinstituts in Münster angekündigt. Beuys bleibt hart und meint, daß die Studienbedingungen dort verbessert werden müßten, wo die Nachfrage bestehe. In einem Benachrichtigungsschreiben an die abgewiesenen Studenten schreibt Beuys am 7.8.1971:

"Durch ein unrechtliches und unsachgemäßes Aufnahmeverfahren sind Sie von einigen meiner Kollegen in die Gruppe jener 142 Studienbewerber eingestuft worden, die im Protokoll der Aufnahmesitzung als ‘nicht aufgenommen’ aufgeführt wird. Dieses Protokoll kam ohne meine Beteiligung zustande, obwohl ich Sie in der Sitzung selbst offiziell in meine Klasse aufgenommen hatte. Der sogenannte ‘Beschluß’ ist somit ungültig, also weder für mich noch für Sie bindend. Gültig vielmehr bleibt nach wie vor meine Entscheidung: Sie sind in meine Klasse als Student aufgenommen worden."

Am 15. Oktober erscheint er mit 17 der 142 abgewiesenen Bewerbern auf dem Studentensekretariat und verlangt deren Immatrikulation. Das Hochschulamt wird alarmiert und stellt Gespräche mit dem Wissenschaftsministerium und dessen Staatssekretär in Aussicht. Nach Zusage einer zufriedenstellenden Regelung für die 17 erschienenen Bewerber verlassen Beuys und die Studenten das Sekretariat. Drei Tage später werden die 17 Bewerber auf Empfehlung des Wissenschaftsministerium offiziell von der Akademie aufgenommen. Weitere 47 Studierende beginnen ihr Wintersemester in dem durch Kabinettsbeschluß neu gegründeten ‘Institut für Kunsterzieher’ in Münster [13] . Am 21. Oktober wird Beuys durch ein Schreiben von Rau gewarnt, diesen Vorgang im folgenden Jahr zu wiederholen. Eine im neuen Jahr stattfindende Konferenz versucht die Aufnahmezahlen auf höchstens 30 pro Klasse festzulegen. In einem SP (Studentenparlament) - Protokoll vom 14.4.72 heißt es, daß bei Beuys 50 Schüler exmatrikuliert wurden. In Einzelfällen soll geprüft werden, ob verschiedene Ansichten über den Arbeitsbegriff bestanden haben, oder ob einfach nicht gearbeitet worden ist. Das Studentenparlament fordert endlich ein festes Lehrangebot, insbesondere für die Probesemester. Im Sommer 1972 werden durch die Aufnahmekonferenz von 352 Bewerbern 125 abgewiesen. Die Zahl der Studierenden erhöht sich auf 1052. Zwischen 1969 und 1972 kommt es so innerhalb von drei Jahren zu einem Zuwachs von über 320%. Die Dokumenta 5 markiert 1972 den Wendepunkt [14] . Anfang Oktober wird Beuys durch das Wissenschaftsministerium noch einmal vor einer Sekretariatsbesetzung gewarnt.

"Sofern Sie in Verfolgung dieses Ziels wiederum versuchen würden, das Sekretariat der Kunstakademie mit ihren Studenten zu besetzen, wäre dies der strafrechtliche Tatbestand des Hausfriedensbruchs. Bei allem Verständnis für ihren persönlichen Stil bin ich nicht gewillt, strafbare Handlungen hinzunehmen. Sollte dies dennoch geschehen, so würde ich mich gezwungen sehen, Ihr Dienstverhältnis zum Lande NRW mit sofortiger Wirkung zu kündigen".

Am 10. Oktober 1972 erscheint Beuys mit 54 abgewiesenen Bewerbern im Sekretariat der Akademie und verlangt die Herausgabe der Studienbücher. Später meint er dazu [15] , daß er nicht das Sekretariat besetzt habe,

"sondern das Sekretariat hat sich selbst eliminiert, das heißt selbst blockiert, denn als wir hineinkamen - ich bleibe solange bis die Studenten ihre Studienbücher haben - hat der Clappers gleich dem Personal gesagt: Alles abschliessen. Die Schränke zumachen. Nach Hause gehen." [16]

Nach einem Sit-In von 19 Stunden und 45 Minuten, rollten sechs Mannschafts-Kleinbusse der Polizei mit einer halben Hundertschaft Polizisten vor die Kunstakademie, unterstützt von einem guten Dutzend Politfahndern des 14. Kriminalkommissariats (NRZ, 12.10.72). Eine kleinere Polizei-Mannschaft war am Nebeneingang der Akademie für erwartete Eventualitäten abgestellt. Als letzter Wagen stand ein Kombi mit Schäferhund bereit.

Nach kurzen Verhandlungen schlendern Beuys [17] und die Studenten durch ein Polizei-Spalier lachend nach draußen: "Demokratie ist lustig" [18] . Als erster Hochschullehrer in NRW seit 1945 erhält Beuys eine fristlose Kündigung. Die Einschreibung und Rückmeldung der Studierenden wird in der Folgezeit durch ständige Polizeipräsenz im Studentensekretariat sichergestellt.

4.

Wissenschaftsminister Dohnanyi: "Studienreform ist Kapazitätspolitik für die Hochschulen." Politische Nahziele bis 1975 sind: Sparpolitik im Bildungssektor durch Regelstudienzeiten und Kurzstudiengängen (Düsseldorfer Studenten Zeitung 1973).

Zwei Monate nach der Entlassung Beuys' gründen zehn Lehrer der Kunstakademie einen Klassenverbund, dem auch Beuys als freier Lehrer angehören soll. Thomkins (Malerei), Geiger (Malerei), Heerich (Malerei), Hollein (Architektur), Kasper (Architektur), John (Film), Sesselberg (Theater), Warnach (Philosophie), Wimmenauer (Architektur) und Richter (Malerei), wollen damit rund 600 Studenten durch Auflösung der Klassengrenzen ein größeres Angebot an Anschauungen und Lehrern zubilligen. Thomkins, der bereits ein Jahr später kündigte [19] , stellt sein privates Atelier als Informationsraum zur Verfügung. Beabsichtigt ist die Intensivierung des Unterrichts und "die Erhaltung von Joseph Beuys als Lehrkraft für die Studenten der Akademie". Das Ministerium betrachtet die Angelegenheit vorerst als "Privatangelegenheit der zehn Herren", betont jedoch ausdrücklich das Lehrverbot von Beuys. Kricke nennt das Projekt "drollig und komisch". Eine Konferenz verurteilt zwei Tage später die Eigenmächtigkeit dieser Lehrer aufs Schärfste. Gleichzeitig bekundet der Senat, daß neue Lehrkräfte, die sich mit besprochenen Tonbändern und Dias Anfang des neuen Jahres vorstellen sollen, nur noch befristete Lehrverträge erhalten werden.

"Erst wenn sich herausstellt, daß die Dozenten über die erwarteten Qualitäten verfügen, soll eine feste Anstellung, verbunden mit einem Lehrstuhl, möglich sein." (Rh.P. v. 21.12.72).

Zur gleichen Zeit stellt der Bund Deutscher Kunsterzieher fest, daß es in NRW einen fatalen Mangel an pädagogisch vollausgebildeten Kunsterziehern gibt - die Hälfte der Stunden wird von Lehrern ohne kunstpädagogische Ausbildung, wie Grafiker, Maler und Architekten erteilt. Kritisiert wird weiter, daß die Einrichtung einer zweiten Aus-bildungsstätte (Münster) erst durch den Kampf von Beuys erzwungen werden mußte, obgleich die Proble-matik schon lange bekannt war.

Differenzierungsprozesse verschiedener Gruppen schaffen innerhalb der Aka-demie eine widersprüchliche Situation, die durch Spaltungen neue Positionen freisetzt. Eine Zeitung des MSB Spartakus kritisiert etwa zur gleichen Zeit die Entlassung von Beuys und offenbart das problematische Ver-hältnis der Linken zu Beuys. "Beuys zieht aus seinen schon recht weit-gehenden Einsichten noch nicht die richtigen Schlüsse." Beuys, ein Produkt der Düsseldorfer Akademie. Individualistisch seine künstlerischen Aussagen verästelnd, sei Beuys innerhalb seiner durch "seine kleinbürgerliche Klassenlage bedingten Grenzen" fortschrittlich. Gleichzeitig wird durch die abgebildeten Zeichnungen deutlich, inwieweit sich der künstlerische Habitus von Studierenden nach 1969 von dem eines Immendorf unterscheidet. Durchlief dieser zu Beginn der 60er Jahre noch ein normales, auf Beuys bezogenes Kunststudium, ohne dessen künstlerische Praxis ‘ernsthaft’ in Frage zu stellen, entstehen zu Beginn der 70er Jahre Politisierungen, die durch existentielle Fragen wie nach der Qualität des Studiums, der Kompatibilität der Studierenden zur Institution, Auslagerungsversuchen der Akademie usw., ganz andere, eben antagonistischere ‘Inhalte’ produzieren mußten. Buchloh [20] , Ende der 70er Jahre selbst ein durch Richter vermittelter Lehrbeauftragter an der Kunstakademie (‘Mythologische und phänomenologische Formen der Kunst in der Gegenwart’), meint 1980, daß

"die konservative ästhetische Position von Beuys - konservativ (...) nicht in ihren manifest politischen Inhalten, sondern in den Strukturen ihrer Bedeutungsformationen wie auch in den implizierten Beziehungen zwischen Autor und Betrachter, ihr ideologisches Korrelat in den regressiven politischen Utopien von Beuys findet. Trotz allem scheinbar so progressiv humanitärem Engagement ihres Autors für ein Programm ästhetischer und sozialer Evolution, hat letztlich die abstrakte Universalität von Beuys eine zutiefst privatistische und subjektivistische Qualität. Dies sind Züge, die notwendigerweise die Dimension der politischen Praxis in seiner Arbeit zum ästhetischen Spektakel verfälschen".

Wandlungen des sozialen Feldes durch Bildungsreformen und Demokratisierungsprozesse wirkten sich bis 1972 über morphologische Veränderungen innerhalb der Akademie aus. Das Wissen um den immer wichtigeren Beitrag des Bildungssystems zur sozialen Reproduktion - es wird in den 70er Jahren zum wichtigsten Instrument zur Verteilung sozialer Chancen - macht dieses in gleichem Maße zum Kampffeld sozialer Auseinandersetzungen und zum Schauplatz einer allgemeineren gesellschaftlichen Krise. Das massive Anwachsen der Studierenden (320%), führt in kurzer Zeit zu Strukturveränderungen und einem veränderten Kräfteverhältnis innerhalb der Akademie. Im Wintersemster 1972/73 kommen auf 1200 Studierende gerade mal vier Kunstwissenschaftler, zwei Pädagogen, ein Philosoph, ein Soziologe sowie entsprechend kleine Werkstätten. Die akademieinternen Modulationen geraten unter Druck von außen und erfordern, daß sich die bestehende Äquivalenz neu oder anders, in modifizierter Form, organisieren muß. Verschiedene Gruppen mit entsprechenden Kapitalformen und den daraus objektiv gegebenen Möglichkeiten, versuchen ihre Definition zu legitimenden Eigenschaften zu erheben, um so die Gesetzmäßigkeiten der Preisbildung zugunsten ihrer Profitchancen zu verändern. Dieser Kampf um die Durchsetzung des jeweiligen Hierarchisierungsprinzips verursacht eine Verunsicherung der Grenzen zwischen den aufgenommenen und ausgeschlossenen Individuen. Nach 1945 versuchte sich die Akademie, die unter starkem wirtschaftlichen Druck stand, dadurch zu legitimieren, daß sie an die vor 1933 vorhandene Tradition der ‘angewandten Kunst’ anzuknüpfen versuchte. Zwischen 1946 und 1960 vergrößerte sich jedoch lediglich die Studienrichtung ‘Künstlerisches Lehramt’ um 350%. Der Bereich Malerei reduzierte sich im gleichen Zeitraum um 50%; die anderen Disziplinen blieben stabil. Ein erhöhter Frauenanteil (1946: 26%; 1960: 43%) sowie die prekäre wirtschaftliche Situation bewirkten eine Relativierung der ‘Freien Kunst’. Künstlerisches Lehramt, Freie Grafik sowie Bildhauerei schienen eine bei weitem stabilere Perspektive zu garantieren als eben Malerei. Durch die ‘angewandten’ Möglichkeiten der Sakral- Mahn- und Denkmalplastik wurde insbesondere Bildhauerei attraktiv (z.B. Beuys bei Mataré) und expandierte in den 50er Jahren durch baugebundene Aufträge seitens der Industrie.

Soziale Kämpfe bewirken in einem größeren Rahmen gleichzeitig eine Verschiebung der symbolischen Kräfteverhältnisse innerhalb des Bildungssystems, - wie auch der Akademie selber. Dadurch werden relativ "neue" Wissenschaften wie Linguistik, Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Semiologie, Künstlerisches Lehramt (KL) und Kunstwissenschaften für die neu an die Universitäten drängenden Klassen attraktiv. Kunst bot - vielleicht vergleichbar mit der Soziologie - bei niedrigstem Eintrittspreis in Form von Bildungskapital über das schwer definierbare Kriterium der "Begabung" einen höchsten symbolischen Gewinn. Nur durch Zulassungsbeschränkungen stellte das Kunststudium eine bestimmte akademische Positionen dar.

Das Selbstbild der Akademie als Ausbildungsstätte der Hochkultur kollidiert so Anfang der 70er Jahre mit einer Masse von Studierenden, die nicht unbedingt über den erforderten künstlerischen Habitus [21] , sowie über gleiche Zielvorstellungen verfügte.

Die Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Verallgemeinerung, die Entwertung und Deklassierung der Akademie innerhalb des gesellschaftlichen Feldes, vollziehen sich jedoch nicht auf mechanische, also homologe Art und Weise, sondern gewinnen ihre eigentliche Bedeutung erst in Abhängigkeit von den Dispositionen der davon Betroffenen.

5.    Zensur und Formgebung: "Kunst  ist nicht lehrbar.Es gibt keine Regeln für die Kunst." (Kricke 1973)

Nach Raymond Williams "Marxism and Literature" ist Hegemonie ein Prozeß, der sich auf den Mechanismen von Traditionen und dem Grundsatz der alten Meister stützt, um so den utopischen Sehnsüchten, die potentiell im kulturellen Schaffen vorhanden sind, den Weg zu verbauen.

Noch im Entstehen der beschriebenen Situation einer ‘Gefährdung’ kommt es Mitte der 60er Jahre zu ersten ideologischen Abgrenzungsversuchen seitens der Akademie. 1966 proklamiert der ehemalige Kunststudent Günther Grass als einer der ersten eine ‘zweck-freie’, nicht von Gedanken der angewandten Kunst beeinflußte Ausbildung an den deutschen Kunstakademien und spricht vom ‘unnütz nützlichen Sein’ der freien Künste, die durch den Verlust ihrer ‘Reservate’ betroffen und bedroht seien. Norbert Kricke wird Ende der 60er Jahre zum Sprachrohr und treibenden Kraft der unter Beuys leidenden schweigenden Mehrheit und beginnt schon früh mit der ‘Dekonstruktion’ der sich abzeichnenden pluralistischen Vereinnahmungen. Dadurch, daß sich der gesellschaftliche Druck bis Ende der 70er Jahre auf die angewandten Bereiche konzentriert, versucht er seine hochkulturelle Praxis durch die Auslagerung der selben zu retten.

"Die scheinbare Verwandtschaft, die im Grunde aber eine unüberbrückbare Gegensätzlichkeit beider Gattungen ist, führt zu apathischen Zuständen, die die Landschaft unserer Akademien so veröden. Im verwalterischen Reglement kunsterzieherischer Ausbildung wird die freie künstlerische Intelligenz ‘beelendet’. Von der alten Akademie ist eigentlich nur das Gebäude geblieben. Sollte es nicht gelingen, die eben beschriebenen siamesischen Zwillinge lebensfähig voneinander zu trennen, so lockt die Idee, die hohlen Gebäude akademischer Administration bis zum Schornstein voll mit Gipsmilch zu füllen, damit sich die Akademie als das darstellt, was sie wirklich ist: ein Monument erstarrter gesellschaftlicher Erwartung“ [22] .

Dabei beginnt er die verinnerlichten und dem Sozialkörper Akademie innewohnenden Gesetze zu vollziehen, um so als Machtmensch intuitiv ‘das Richtige tuend’, seine Ansprüche und Erwartungen tendenziell nach den modalen, im Diskurs eingeschriebenen und sich sozial konstituierenden Möglichkeiten zu richten. Drei Jahre später erreicht er so eine höchste Korrelation mit dem das herrschende Soziale verwaltenden Politischen [23] . Drei Monate nach der Entlassung von Beuys wird Kricke gegen die demokratische Mehrheit der Vollversammlung neuer Direktor. Seine ideologische Programmschrift ‘die neue Akademie’ [24] , ist Maßstab und Grundlage für eine konservative Entwicklung, welche Reformen aus den 20er Jahren zurückschraubt und so zu einem Modell des 19. Jahrhunderts führt.

 6.   Abzug der Besetzung
und Politisierung des Feldes

Die Funktion von Ideologie ist, dazu beizutragen, den Status Quo zu perpetuieren: "In der Gesellschaft sind die herrschenden Gedanken die Gedanken derer, die herrschen" (Marx). Während Ideologie alle Institutionen durchdringt, die zusammen eine Gesellschaft bilden, sind einige Einrichtungen besonders mit ihrer Perpetutation und Propagierung beschäftigt (...). Kunst ist eine von diesen wichtigen ideologischen Institutionen. Der Eifer, mit dem sie normalerweise als Geschichte und gesellschaftliche Umstände überschreitend proklamiert wird, daß sie ‘apolitisch’ und ‘wertfrei’ sei, bestätigt nur ihre strategische Bedeutung im ideologischen Kampf.
(Victor Burgin: Aus: "Was erwartest Du ...?". Paul Maenz Köln 1977)

Die Chancen der Neuen in der Konkurrenz mit den Alten scheinen umso größer und bieten sich früher, je weniger die erforderlichen Fertigkeiten und Dispositionen bei der Produktion und Reproduktion des Wissens auf intuitiven Erfahrungen und Erkenntnissen basieren und je stärker sie formalisiert sind, das heißt, je rationeller sie vermittelt und erworben werden können. Der Kampf um Klassifizierungen und Rangordnungen führt an der Akademie zu neuen Fraktionen und Formen. Da scheinbar konservative Medien wie Malerei den Eindruck erwecken sie seien kaum formalisierbar, und rational nur schwer vermittelbar, entsteht die Forderung nach neuen, weniger auf intentionalen und tradieren Erfahrungen beruhenden, ‘angewandteren’ und später als typisch ‘links’ deklarierten Medien, wie Theater, Video, Film und Fernsehen. 1968 kommt es in einem ersten Schritt zur Überwindung der Bühnenbildklasse hin zu aktuelleren, interdisziplinären Arbeitsformen. Das Konzept für eine ‘Klasse Theater und Film’ wird 1969 auf einer Konferenz mit Mehrheitsbeschluß angenommen. Wolf Sesselberg erhält einen Jahresvertrag als Dozent. Geplant ist die Aufteilung in zwei unabhängige Abteilungen Theater und Film. Lehrmaterial, Studiobühne und Filmwerkstatt werden trotz Zusagen jedoch nicht zur Verfügung gestellt. 1971 wird eine Dozentur für Film eingerichtet. Zur gleichen Zeit schreibt ein ‘Proletarisches Filmkollektiv’ an der Akademie:

"Wir verstehen unsere Arbeit in der Akademie als Arbeit für die Gesellschaft. Wir versuchen mit dem Medium Film gesellschaftliche Zusammenhänge uns und anderen klarzumachen." [25]

40 Studenten schreiben sich sofort in der neugegründeten Abteilung der Klasse ein. Der Däne Ole John als künstlerischer Leiter (Dozent), Harun Farocki (Filmhochschule Berlin) für Medientheorie, Gert Albrecht (Institut für Massenkommunikation, Köln) für Filmanalyse und Lutz Mommartz für Projektgestaltung bilden das Team, das die Klasse betreuen soll. Die Arbeit beginnt wegen des Fehlens der erforderlichen Mittel erst im WS 1971/72. Weitere Gruppen und Angebote entwickeln sich in der Folge, so eine Projektgruppe für Medienkunde. Die ‘Rote Zelle Kunst’ organisiert zur gleichen Zeit mit dem Adorno-Schüler Imhoff, sowie Immendorff und May eine Vortragsreihe über Materialistische Ästhetik, "Industrialisierung und Proletarisierung der Kunst" (Imhoff) und "Versuch einer Analyse der visuellen Medien in der spätkapitalistischen Gesellschaft" (May). Warnach - bis 1975 Philosophieprofessor - hält eine Vorlesung über Marx, "Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie", und vertritt eine "Philosophie der Wir-Wissenschaft". Von den ersten 7000.- DM werden eine Kamera 16mm, zwei Kameras S8, ein Tonprojektor S8 und ein Diaprojektor angekauft. Auf dem ersten Rundgang '72 sind einfache Arbeitsproben, Manu-skripte und Projektvorstellungen zu sehen. Der erste fertiggestellte Film der Gruppe ‘Yiup’ trägt den Titel ‘Der Arbeiter’. Weitere Gruppen-arbeiten sind im Stadium der Entwicklung, scheitern aber haupt-sächlich an ihrer Finanzierung und werden später nicht mehr ver-wirklicht, da die theoretische Arbeit das Projekt überholt hat. Andere Kooperationsmöglichkeiten - an der umfangreichen Video-Anlage des Essener Folkwang-Museums Video-Kurse abgehalten - ermöglichen erst eine wirkliche Filmarbeit [26] . Im Januar 1973 stellen die 145 Studenten (!) der Klasse "Film und Theater" in ihren Räumen aus: 34 verschiedene Filmvorführungen von fast 10 Stunden Dauer werden gezeigt. Die Arbeit der Klasse wird durch weitere Aktivitäten ergänzt, durch die Herstellung der Zeitung ‘Kommunikation 1’ beispielsweise, sowie durch verschiedene Video-Interviews, etwa mit Beuys nach seiner Entlassung. Zur gleichen Zeit wird eine Fakten- und Fotosammlung bei Mercedes abgeschlossen und das filmische Material weiterbearbeitet; weitere Reportagen über Arbeiter in großen Industrie-Betrieben, so bei Henkel und Mannesmann, sind in Vorbereitung.

7.    "Wir sind dabei eine Ära zu beenden"
                                         (Bobek 1973)

"Kultur als eine autonome Sphäre, wie sie sich während der letzten Jahrhunderte herausgebildet hat, ist Hoch- und Herrschaftskultur. Sie ist Teil der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, also eines praktischen Prozesses gesellschaftlicher Kämpfe. Hochkulturell sind diese Praktiken, weil sie sich ihrem Selbstverständnis nach binär einer Natur der unteren Klassen, der Masse, des Volkes übergeordnet haben, die über diese Kultur nicht verfügen sollen, und über die Herrschende und intellektuelle Führungsansprüche erheben." (A. Demirovic in TZK Nr.12)

 Kulturelle Homogenisierung sorgt dafür, daß bestimmte Formen der Kommunikation und des Ausdrucks legitimiert und andere minorisiert und disqualifiziert werden. Die Kulturpolitik durch Rau (SPD), gekennzeichnet durch große Vollmachten und Rückendeckung für Kricke (Direktor auf Lebenszeit), stabilisiert ab 1972 die durch Druck entstandene große Zahl der Studierenden - um sie nach und nach wieder zu halbieren (Ministererlaß). Akademiepolitisch ist es wichtig, die großen und politisierten Bereiche Künstlerisches Lehramt, Theater und Film zu beruhigen, zu verändern oder auszulagern. Die ansteigenden Studentenzahlen bewirkten zur gleichen Zeit einen ‘Vermassungs-Effekt’ und führten zu einer Anonymisierung und Gefährdung des wichtigsten Reproduktions- und Kontrollinstrumentes: Der Meister-Schüler-Klasse. Platzprobleme, überfüllte Seminar Räume, aber auch mangelndes ‘Wahrgenommenwerden’ führten zu einer weiteren Politisierung der Situation. Die sozialen und morphologischen Veränderungen, sowie die Abwehrreaktion der Akademie, führen zu einer Gleichschaltung mit anderen, über gleiche Dispositionen verfügende Felder. Durch die schlechten Bedingungen und die ideologischen Abgrenzungsversuche kommt es zu einer Abspaltung eines großen Teils der Studierenden, die, so aus dem ‘Rennen’ geworfen, um ihre ‘objektiven’ Chancen fürchten müssen: Folge ist der Zusammenbruch des Kreislaufs von Hoffnungen und Aussichten. Für sie bleibt nur der Abbau von Vorstellungen und das Sich-Einrichten in einer unzulänglichen Situation.

In einer geheimen Abstimmung wird zu Beginn des Jahres 1973 die Klasse ‘Theater und Film’ aufgelöst und Sesselberg am letzten Tag des Semesters entlassen: Bremer und Spoerri sind als Nachfolger im Gespräch. 140 Studenten müssen sich eine neue Klasse suchen, wobei fraglich bleibt, ob die letzten Semester für das Fach Künstlerisches Lehramt angerechnet werden, denn eine Klasse ‘Theater und Film’ habe es offiziell nie gegeben [27] . Zwei Tage später wird die Abteilung Film wiederum zu einer Klasse ernannt. Die Abteilung Theater wird zwei Jahre später trotz kontroverser Meinungen - Geiger plädiert für eine völlige Auflösung des Bereichs -, verkleinert und beruhigt, zu einer ‘normal’ ausgerichteten Bühnenbildklasse. Damit diese nicht am Widerstand der noch dort eingeschriebenen Studenten scheitert, darf der neuberufene Kneidl eine ‘eigene’ Klasse aufbauen. Die noch eingeschriebenen 30 Studenten müssen die Klasse verlassen und werden von 1974 bis 1976 durch den speziell dafür eingesetzten Lehrbeauftragten Reusch betreut. Dieser erhält zwei Jahre später eine Professur für ‘Integration Bildende Kunst und Architektur’ (Hausberufung). Versprach Reusch noch ein Jahr zuvor, die Klasse im Falle einer Berufung zu behalten, wird später durch Gerüchte (!) bekannt, daß die Klasse aufgelöst werden soll: die Konzeption eines neuen Lehrstuhls erfordere eben auch neue Studenten. An die 20 Studenten für ‘Künstlerisches Lehramt’, teilweise schon im 7./8. Semester, müssen wieder ihre Mäpplein packen und hausieren gehen, - ein Ritual, das sich in den 70er Jahren zu etablieren beginnt. Die Auflösung der Theater-Klasse bewirkt, daß experimentelle Theaterformen an der Akademie nicht mehr Fuß fassen können. Das politische Bewußtsein, die formale Direktheit und die sprachliche Orientierung des Theaters gehen in der bildhaften und stärker künstlerisch ausgerichteten Performance verloren.

1972 erklärt Kricke, daß man bei der Einrichtung der Filmklasse von nicht sehr realistischen Vorstellungen ausgegangen sei. Film sei zunächst nur als Ergänzung zum Theater gedacht gewesen, habe sich jedoch zu einer eigenständigen Abteilung entwickelt. Zur gleichen Zeit bringt er bereits den Filmer und Video-Galeristen Gerry Schum ins Gespräch. Das Gerücht entsteht, daß der Dokumentarfilmer John durch den stärker auf ‘Kunst’ und Video ausgerichteten Schum ersetzt werden soll. Als tautologische Widerspiegelung der eigenen Arbeit hat man im Senat bereits einen stärker praktizierten ‘Künstlerfilm’ im Auge, also Video-Dokumentationen über Künstler à la Gerry Schum. Thwaites hält etwa zur gleichen Zeit ein Seminar über "Filme über zeitgenössische Kunst".

Diese erstmals von Kricke präsidierten Handlungen stehen Anfang 1973 für das institutionelle Scheitern eines um 1967 begonnenen Prozesses einer die Politisierung der Inhalte: "Für wen und wie? Kulturschaffender, auf welcher Seite stehst Du?" und der Reformierung der Strukturen. Sie stehen auch für das Entstehen einer ‘neuen’ [28] , entpolitisierten und homogenen Akademie. In einem Rechenschaftsbericht des AStA von 72/73 werden zwar immer noch eine Fülle von bearbeiteten Feldern genannt: der Kampf gegen das Hochschulrahmengesetz etwa, der Kampf gegen den ‘numerus clausus’, gegen Berufsverbote, Inhalte und Breite des Lernangebotes, Berufungspolitik, gegen die materielle Studienmisere (BAföG, Krankenversicherung und Wohnungsnot). In gleichem Maße wird aber auch spürbar, daß deren institutionelle Umsetzung nur frustierend sein kann und schon bald zu anderen, teilweise kompensierenden und außerakademischen Handlungen führen muß: Internationalismus, Hausbesetzungen, Mietersolidarität usw., die den Widerstand in hohem Maße von außen zu konsolidieren beginnen. Auch wenn innerhalb der Akademie Versuche stattfinden, sich politisch zu organisieren und weiterzubilden - in der "Spartakus-Schulung Philosophie" z.B., oder in dem "Versuch einer kollektiven Analyse des Handelsblattes" durch die Rote Zelle Kunst (1971), sind die Aktionen bereits ineffizient und starr geworden und zerreiben sich innerhalb der Gruppe oder zwischen anderen Gruppierungen [29] - an einer ‘5-Mark-für-zu-spät-Kommen-Problematik’, sowie an der repressiven Ideologie der Akademie. Wo die effizienten Provokationen der ‘68er (Lidl)-Revolte’ verschwunden sind, und sich ein anders gearteter, sich auf die Verwaltung einlassender Dogmatismus und studentischer Gang durch die Institution breitmacht, und teilweise zum eigenen modischen Accessoire und Terror-untereinander wird, geht die Revolte verloren. Das kulturpessimistische und resignative Verhalten sowie das rigide Moralisieren führt zu entsprechend ideologischen Gegenbildern. Bereits zwei Jahre zuvor erklärte der damalige AStA-Vorsitzende Stein [30] in seinem Text "Mitbestimmung und wissenschaftlicher Pluralismus an der Akademie", die studentische Berufungspolitik an der Akademie für gescheitert. "Mitbestimmung bleibt formal, ist also keine." Sach- und Personaldiskussionen sind nicht möglich, die Abstimmungen bleiben geheim und somit undurchschaubar. Selbst wenn es innerhalb einer Vollkonferenz zu einem Diskussionsprozeß kommt und Beschlüsse gefaßt werden, so liegt es immer noch im Ermessen des Direktors, diese zu torpetieren und diktatorisch seine durchzusetzen. Zur inneren Situation im Hause erklärt Bobek, daß innerhalb des Kollegiums eine Front verlaufe: ein Teil sei für den demokratischen Versuch einer Liberalisierung, ein anderer Teil für eine strafferes Direktorat in Zusammenarbeit mit dem Ministerium. Kricke erklärt dazu: "Demokratie, Mehrheitsabstimmung über künstlerische Fragen - das ist der Tod aller Kunst! Anspruchsvolle Fächer wie Ästhetik, Pädagogik, Kunstgeschichte und Philosophie sind an einer Universität besser zu vertreten." Angela Petersen beschreibt 1973 in der DSZ [31] die verschiedenen Kräftefelder, sowie das Bemühen der Akademie, ihre gefährdete High-Art-Praxis zu erhalten: Um die Exklusivität Weniger und den Ausschluß Vieler zu garantieren, gilt es für diese, die wissenschaftlichen Abteilungen (KL und Architektur) und ihre bevorzugten künstlerischen Medien, sowie die sich an sie drängenden ‘Massen’ aus der Akademie auszulagern - und in die Gesamthochschule einzugliedern. Ziel ist es einerseits selber einer möglichen Eingliederung zu entgehen und gleichzeitig das politische Potential loszuwerden, welches diese betreibt. Dies würde laut Petersen bedeuten, daß die freien Bereiche von der dringend notwendigen Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Fragestellungen völlig unberührt blieben. Interdisziplinäre Ansätze würden ausgeschlossen. Die ‘Akademie’ und das ‘Konservatorium’ im traditionellen Sinne bliebe erhalten, strukturell abgetrennt von rationaler Diskussion als Pflegestätte zukünftiger Genies. Im Gegensatz zu diesen reaktionären ‘Autonomie’- Vorstellungen der Akademie fordert ein großer Teil der Studenten die Integration aller Bereiche der künstlerischen Hochschulen in die Gesamthochschulen. Dadurch würde sich die Möglichkeit eröffnen, mit Wissenschaftsbereichen, die sich mit Kunst und Musik berühren oder ihre Entwicklung beeinflussen, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, wie Philosophie, Psychologie, Soziologie, Geschichte und Sozialwissenschaften, Kybernetik und Informationstheorie. Diese erhoffte Zusammenarbeit, die man sich projektorientiert vorstellen könnte, würde zugleich die Ausbildung der Kunst- und Musikerzieher wesentlich verbessern. Die von vielen als elitär erachtete Kunstpraxis müßte in Konfrontation mit der Wissenschaft aus ihrer Sackgasse herausfinden und ihren Anspruch, andere, aber gleichwertige Möglichkeiten der Erkenntnis und der Erkenntnisvermittlung anzubieten, verwirklichen.

Als problematisch wird weiter angemerkt, daß die Forderung nach Integration nur zusammen mit einer grundsätzlichen Veränderung der als starr und eingleisig empfundenen Gesamthochschule erhoben werden kann. Zerknirscht wird allerdings festgestellt, daß diese eigentlich nur unter anderen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen realisierbar erscheint. Stein meint dazu, daß ein sozialistisches Studium schon insofern utopisch sei, als die wissenschaftliche Methodologie die soziale Machtlage bewußt und unbewußt apologetisch vertrete, - und dies wäre eben die der spätkapitalistischen Klassengesellschaft.

"Übrigens liegt das sogar im Interesse der Studierenden selbst, (...) als sie ihr Bewußtsein nur in der lebendigen und steten Auseinandersetzung zwischen antagonistischen wissenschaftlichen Methoden als ein Gefestigtes bilden können, nicht aber in einem Naturschutzpark, der jenseits der realen - und ideologischen - Kämpfe steht, die in der Gesellschaft stattfinden, zu der sie nolens volens gehören". [32]

Andernfalls würde die Akademie zur Spitzweg-Karikatur im Dachstübchen der fortschreitenden Bildungsgesellschaft. Der Künstler hat sich zu Beginn der Neuzeit als ‘pictor doctus', als Gelehrter im Atelier, von seiner handwerklichen Herkunft emanzipiert. Eine Hochschule für bildende Künstler hätte ohne die Fächer Kunstgeschichte oder Philosophie dann weniger Wert als die kommunalen Werkkunstschulen mit ihrer rein praktischen Ausbildung.

Bestimmte ideologische Reaktionen nach 1972 sind nur über historische Bezüge zu den 20er Jahren verständlich. Mit der Industrialisierung des Ruhrgebiets enstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts andere soziale Gruppen mit größerer finanzieller Potenz. Industrielle Produktionsformen sowie neue künstlerische Medien erforderten andere Ausbildungsformen und künstlerische Inhalte. Die 1903 von Peter Behrens übernommene und reformierte Düsseldorfer Kunstgewerbeschule avancierte zwischen 1904 und 1907 zu einer der wichtigsten Wegbereiter des Industrie-Design in Deutschland. 1918 gelang es der (kultur)politisch irrelevant gewordenen Kunstakademie, sich Teile der Kunstgewerbeschule einzuverleiben und so einer drohenden Schließung vorzubeugen. Durch die Eingliederung einer Architekturabteilung wurde der frühere Zustand der Akademie vor Schadow (Düsseldorfer Malerschule) wiederhergestellt und mit der Übernahme der Fachklassen für Grafik, Bühnenbild und künstlerisches Lehramt (1921) weiter abgesichert. Etwas früher wurde bereits ein anderes Projekt in Angriff genommen: Für das neue Hochschulkonzept mit Werkstätten und einer größeren Architekturabteilung schien das 1887 fertiggebaute Akademiegebäude nicht mehr zu genügen. Auf einem städtischen Gelände wollte man nach englischem Vorbild einen mit Sportanlagen und Grünflächen ausgestatteten Akademie-Campus errichten. Das noch heute in Betrieb befindliche Akademiegebäude von 1887 sollte in ein städtisches ‘Zentralmuseum’ umfunktioniert werden. Aber das 1914 begonnene Bauprojekt mußte aus finanziellen Gründen nach dem 1. Weltkrieg jedoch wieder eingestellt werden.

Weite Teile dieser Reformversuche gingen indirekt auf Forderungen und Praxisformen der klassischen Avantgarde zurück, eben jener Avantgarde, auf die sich auch ein großer Teil der Beuys'schen hochkulturellen Praxis, sowie viele der zwischen 1967 und 1972 gestellten Forderungen und ästhetischen Widerstandsformen bezogen.

Man denke nur an das von Beuys 1971 aufgeführte politische Schauspiel "Warum wollen wir nicht endlich einmal über die Bundeswehr demokratisch entscheiden?" und an Bezüge zum sowjetischen ‘Oberiu’ (Gesellschaft für reale Kunst) und Agit-Theater in den 20er Jahren; oder an die dann doch nur ästhetischen Verbindungen zwischen Fluxus-Zielen und der LEF-Gruppe 1929 in der Sowjetunion: Stufenweise Eliminierung der schönen Künste und Hinwendung zu angewandten, sozial konstruktiven Bereichen (Gebrauchskunst), wie industrielles Design, Journalismus, Architektur, Ingenieurwissenschaften, Grafik-Design, Fotografie usw. Insofern scheint es von einer gewissen Logik zu sein, daß mit der psychischen Abwehr dieser Forderungen, also Demokratisierung, Kollektivierung, Antiindividualismus bis hin zu Anonymität, auch ihre angewandte Praxis, nämlich die durch Reformen der 20er Jahre eingeführten Bereiche und Öffnungsversuche, wenn nicht ausgelagert, so doch in (kultur)politisch harmlosere Formen überführt werden mußten. Theaterklasse = Bühnenbild, Freie Grafik = Schriftkunst, Filmklasse = Videoabteilung usw. Und so ist es kaum noch erstaunlich, daß sich Beuys um das einzige, 1918 fertiggestellte Hauptgebäude der damals "neuen Akademie" auf dem Messegelände für seine FIU, bemühte, aber von der Stadt (kultur)politisch nicht unterstützt wurde. Im gleichen Jahr wurde das Gebäude trotz heftiger Proteste abgerissen.

8.    "Die Geschichte der Filmklasse (...) ist die Geschichte eines Klassenkampfes"
                         (Leo Linder, 1977)


1973 erscheint innerhalb des Buches „200 Jahre Kunstakademie...“ eine um Normalität bemühte, kunsthistorische Abhandlung von Trier [33] mit dem zeitgeistigen Titel "Die Düsseldorfer Kunstakademie in der permanenten Reform". Aufwendig wird darin versucht, den entstandenen politischen Druck historisch zu relativieren und Reformversuche und Politisierung als die der ‘Sache innewohnenden Naturvorgänge’ darzustellen. Gleichzeitig fragt sich Trier, weshalb man die Tradition des fragenden Selbstverständnisses, -die Akademie als Heimat der Konflikte, die Reform als Dauerthema der Kunsthochschulen-, unter dem Druck ungewöhnlicher und nicht akzeptabler Formen aufgeben sollte. Die liberale, bildungsbürgerliche Akademie, -in den letzten Jahren immerhin dreimal polizeilich geräumt,- werfe ihren Gegnern vor, man konstruiere die Fiktion einer Akademie des 19. Jahrhunderts, um die Konfliktsituation der Zeit nach dem ersten Weltkrieg rekonstruieren zu können: "Daraus resultieren z.T. Reformvorschläge, die eine historische Reflexion bzw. die Kenntnis der Geschichte der Reformgedanken vermissen lassen." Die Feier zum Buch "200 Jahre Kunstakademie Düsseldorf" wird aus Angst vor Krawall ausgelassen. Einhergehend mit einem Druckverbot politischer Plakate, kommt es zu weiteren kleineren Strukturveränderungen. Der 1973 geschaffene Orientierungs-Bereich wird stärker gegliedert und muß nun nach Ende der beiden Probesemester eine Ausstellungs-Prüfung [34] absolvieren. Studenten ab dem 3. Semester sollen nicht mehr freiwillig, am jährlich stattfindenden Rundgang teilnehmen, sondern gezwungen werden sich vor den übrigen Lehrern des Hauses auszuweisen. Studenten mit mehr als 10 Semestern müssen sich für ihr Weiterstudieren rechtfertigen. Ein neu eingeführter Leistungsnachweis im Studienbuch soll die künstlerische Arbeit dokumentieren. Zur gleichen Zeit beherrschen die Themen ‘Satzungsentwurf’, ‘Aufnahmeordnung’ und ‘Neuberufungen’ die Senatspolitik, wobei der AStA und die Beschlüsse der Vollkonferenz (VK) regelmäßig übergangen werden. Insbesondere die Personalpolitik des Senats veranschaulicht, daß die Studenten zwar Vorschläge machen dürfen, diese aber - auch wenn ihnen mit Unterschriftensammlungen und anderen Äußerungsformen Nachdruck verliehen wird - prinzipiell keine Beachtung finden. Zwischen 1974 und 1976 gibt es keine Berufung, die der demokratischen Mehrheit der VK entspricht, als Prinzip setzt sich das Bewährte durch. Es gibt Hausberufungen, bis hin zum Berufsverbot als letzter Möglichkeit. So im Falle Alvermann, der als DKP-Mitglied ministeriell ausgebootet wurde [35] . Wer sich als Dozent oder Lehrbeauftragter akademiepolitisch bewährt und hocharbeitet, kommt ans Töpfchen, die anderen kommen ins Kröpfchen. Lehraufträge werden nur noch befristet erteilt (Ein- oder Zweijahresverträge) - "und falls ein gewonnener Lehrer sich für eine weitere Mitarbeit im Hause qualifiziert und eignet", kann über eine Verlängerung oder Berufung erneut entschieden werden. Diese Praxis bewährt sich innerhalb der problematischen Zeit bis 1976. Von da an werden wieder ordentliche Professuren von außerhalb riskiert. Das Mißverhältnis zwischen der exekutiven Senats-Politik und der legislativen Vollkonferenz, sowie der studentischen Auffassung, kommt in mehreren Mißtrauensanträgen und Senatsauflösungsversuchen seitens der Studenten und der VK zum Ausdruck. Eine Nachwahl des Senats Anfang 1975 nach dem Rücktritt von 8 Mitgliedern, sowie die ministerielle Verweigerung von geforderten Neuwahlen, schaffen eine ‘Berufungsmaschine’, welche in kürzester Zeit klare Schnitte macht. Durch innere Prozesse situiert, werden Dozenten und Lehrbeauftragte berufen oder entlassen. Zwischen 1973 und 1976 erfolgen 11 von 16 Berufungen durch den von der Vollkonferenz abgelehnten Senat. Acht davon sind Hausberufungen oder stammen aus dem Kricke-Umkreis. Regelmäßig werden dabei Berufungsausschüsse und Fachvertreter übergangen.

Von 1973 an verlaufen alle akademiepolitischen Entscheidungsprozesse ähnlich wie in der Senatssitzung vom 5.2.1974, in der Kricke mitteilt, daß Henkel der Akademie zehn Reisestipendien à 3000.-DM zur Verfügung gestellt hat. Die Studentenvertreter fordern die "Demokratisierung" des Betrages, z.B. zur Beschaffung von Lehrmaterial. Um die entstehende Diskussion abzubrechen, wird nach kurzer Zeit über die Zweckbestimmung abgestimmt, mit einem Ergebnis von 13 zu 3 für die Vergabe von Stipendien. In der gleichen Sitzung beantragt der AStA die Herstellung von Öffentlichkeit, sowie mehr Transparenz anläßlich des Rundgangs über die Entscheidung bezüglich der Absolventen der Probesemester. Mehrere Lehrer warnen im Verlaufe der Diskussion eindringlich vor möglichen Störungen des Verfahrens. Die Kommission würde dies mit dem Abruch der Prüfung beantworten, was sich zu Ungunsten der Probesemesterabsolventen auswirken würde.

Seitens des Ministeriums werden für das Studienjahr 1974/75 erstmals genaue Zahlen für die Aufnahme von Studienbewerbern angegeben. Die Ermittlung der Kapazität erfolgte in Zusammenwirken mit der Kunstakademie im Januar und berücksichtigt eine gegenwärtige Studentenzahl von 1100. Eine Festsetzung der Zahl der Studienplätze in Form einer rechtlichen Zulassungsbeschränkung sieht eine gerade noch zu vertretende Studienanfängerzahl von 63 für das kommende Jahr vor. Weiter wird der Akademie garantiert, daß eine Veränderung des gegenwärtigen Status, insbesondere der Aufgabe der Kunsthochschulen für die Ausbildung freier Künstler, nicht beabsichtigt ist und der Status Quo insoweit völlig unverändert bleibe.

"Die Kulturverwaltung setzt schlicht durch die Tatsache ihrer Existenz und der Förderung Maßstäbe ästhetischer Produktion. Damit definiert sie indirekt die Parameter an denen sich der Konformismus der Künstler orientiert und sich das avantgardistische Selbstverständnis abarbeitet". (A. Demirovic in TZK Nr.12.)

1975 studieren in den 12 freien Klassen 264 KL-Studenten und 238 freie Studenten, bei den KL-Professoren 212 KL-Studenten und nur 42 Freie (Insgesamt 756). Angestrebt wird eine hochschulpolitische Stärkung der freien Klassen, damit diese sich in Berufungsverfahren und anderen politischen Entscheidungen nicht nach den zahlenmäßig stärkeren KL-Studenten richten müssen.

Studierende mit geringerem Bildungskapital, und schwer definierbaren oder nicht sofort verwertbaren Eigenschaften, sowie ‘anderen sozialen Begabungen’, verfeinern entweder die Kapitalformen oder verweigern sich in unzulänglich definierten, die Unbestimmtheit der sozialen Identität verlängernden Berufen oder Berufungen (side-boards) [36] : in ‘geordnetem’ Rahmen sind dies Schriftsteller, Künstler und sonstige Kulturproduzenten sowie die neuen, an der Grenze zwischen intellektuellem und universitärem Feld angesiedelten Berufe. Hauptsächlich Studierende aus den Mittelklassen weichen zu Beginn der 70er Jahre an die Akademie aus und studieren bis 1978 mehrheitlich KL. Erst 1980 kommt es an der Akademie zu einer starken Verschiebung zugunsten der ‘Freien Kunst’. Bewarben sich in Düsseldorf 1974/75 noch 38,5% für ‘Freie Kunst’, so waren es 1981/82 bereits 72%. Geht man davon aus, daß in dem 1972 gegründeten Institut für Kunsterziehung in Münster der größte Teil KL studierte, so wurden 1974/75 in D'dorf und Münster nur gerade 15% der Bewerber für ‘Freie Kunst’ neu eingeschrieben. Zur gleichen Zeit - 1975/76 - verändert sich das Verhältnis zwischen Bewerbung und Aufnahme zugunsten der ‘Freien Kunst’ um 12,5%. Erst 1980 beginnen dann auch die gesellschaftlichen Verhältnisse [37] mit der seit 1973 betriebenen Akademiepolitik zu korrelieren: 75% bewerben sich für ‘Freie Kunst’, nur 67% werden angenommen.

Im WS 1974/75 sind in der Filmklasse laut Senatsprotokoll noch 57 Studierende eingeschrieben (32 Freie Kunst/ 25 KL), - zwei Jahre zuvor waren es noch 145! In einer Abstimmung über die Situation der Filmklasse, der eine Diskussion mit John vorangegangen war, beschließt der Senat am 15.1.1975 [38] einstimmig die Fortführung der Klasse mit entsprechendem Ausbau in personeller und materieller Hinsicht [39] . Dazu gibt es Überlegungen, ob die Klasse zu einem Institut ausgebaut werden kann, mit Der Möglichkeit einer später vom Land durchgeführten Verselbstän-digung. Johns Vertrag wird verlängert und ihm darüber hinaus eine mögliche spätere Professur in Aussicht gestellt. Drei Wochen später werden die gefaßten Beschlüsse einstimmig ratifiziert: Verlängerung des Vertrages mit John um ein Jahr, Ausschreibung einer Professur für Film, und Beantragung einer Professur für Film innerhalb des Etats. Noch Mitte des Jahres wird die Verwaltung angewiesen, durch den beschlossenen Ausbau der Abteilung die bestehende Dozentur für diesen Lehrstuhl in eine Professur umändern zu lassen. Ende des Jahres wird die beantragte Schaffung einer Professur für Film wegen Sparmaßnahmen bereits relativiert und verschleppt. Kricke weist auf die gewaltigen Belastungen des Haushalts hin und erklärt, daß alle Beschlüsse unter diesem Aspekt zu betrachten sind.

Eine Dienstaufsichtsbeschwerde von sieben revoltierenden Professoren gegen Kricke wird im gleichen Jahr von Rau mit dem Verbot weiterer Äußerungen (Dienstvergehen) beantwortet. Rau ist der Überzeugung, daß Kricke alles in seiner Kraft stehende getan habe, um die Reputation des Hauses wiederherzustellen. Kricke erwidert darauf, daß in Berufungsfragen stets nach dem Grundsatz "der Beste (!) ist gerade gut genug" gehandelt werde und sich die Düsseldorfer Kunstakademie in den letzten drei Jahren zur "angesehensten Kunsthochschule in der BRD entwickelt habe" (Rh.P. v. 25.2.76)

Im gleichen Monat wird John aus angeblich "formalen" Gründen entlassen (Kettenvertrag). Der Senat kritisiert,

"daß nach der bisherigen Arbeit der Filmklasse in keiner Weise erkennbar ist, wie weit sich der Filmbereich auf die bildnerische Kunst zubewegt hat. Die Ausrichtung der bisherigen Arbeit - Dokumentarfilme - ist (...) zu einseitig, so daß die notwendige Beziehung zur Akademie selbst und zu ihren künstlerischen Leistungen in keiner Weise erkennbar erfaßt wurde."

Trotz früherer Beschlüsse versucht ein Teil des Senats, den Status der Klasse zusätzlich zu verändern und diese in eine Werkstatt umzustufen: die Studenten sollen sich bei einem bildenden Künstler einschreiben. Eine geheime Abstimmung scheitert an einer Stimme, sodaß der Status der Klasse vorerst erhalten bleibt. In einer späteren Konferenz werden der Journalist Reinke und die Video-Galeristin Schum-Wevers als neue Lehrbeauftragte der Filmklasse eingesetzt, - erneut gegen den heftigen Widerstand der Studenten, die

"in der alleinigen Ausrichtung der Ausbildung auf `Künstlerfilme' eine Einschränkung für die Studenten, die sich bisher vornehmlich mit Dokumentar- und gesellschaftspolitischen Filmen befaßt haben", sehen. (Protokoll vom 21.4.76)

1976 gehen Streiks und Aktionstage (innerhalb einer bundesweiten vds-Kampagne) gegen die neue Satzung, gegen den Abbau von Demokratie, das Hochschulrahmengesetz und Berufsverbote, einher mit endgültigen strukturellen Veränderungen. Die in den drei Kricke-Jahren betriebene Spaltung zwischen Freien und KL erreicht im gleichen Jahr ihren Höhepunkt. Zweimal werden durch die VK und den AStA geforderten Neuwahlen des Senats durch das Ministerium verweigert. Eine neue vorläufige Satzung stärkt die freie Kunst: eine Verfassungsbeschwerde der benachteiligten Professoren endet vor dem Bundesverfassungsgericht und wird mit der Begründung abgelehnt, daß die Landesregierung im Rahmen ihres Gestaltungsbereichs die traditionell für Aufgabe und Ansehen der Kunstakademie repräsentative Hochschullehrergruppe, - eben die der freien Kunst -, durch Satzungsregelungen hervorheben kann. StudentInnen schreiben in der SZ vom 8.3.1977, daß bei der neuen Satzung keineswegs von einem, - wie von einer kleinen Gruppe propagiert -, ‘Modell der Freiheit’ gesprochen werden kann.

"Die Vollkonferenz hat sich im November 1976 mit 37 zu 6 Stimmen für juristische Schritte gegen den Ministererlaß ausgesprochen. Sie und die meisten Studenten sehen in der Sonderstellung der Freien Kunst keineswegs eine Kunstfreiheit garantiert. Bis zur Amtsübernahme durch Kricke gab es keinerlei Unterschiede in der Stellung von "Freien" und zukünftigen Kunstlehrern."

Angeordnete Vollkonferenzen werden nun von einem Teil der Professoren (14-25) regelmäßig boykottiert und eine weitere Zusammenarbeit wird verweigert. 1977 berichtet Kricke dem Senat, daß er Kontakt mit Paik aufgenommen habe, zwecks Übernahme einer Aufgabe im Bereich Film und Video. Mit der Abwahl von Hüppi übergeht der Senat im gleichen Jahr frühere Entscheidungen des Fachbereichsrats 1 und des alten Senats, und versucht so eine weitere politisierte Klasse auszuquartieren. Hüppi, der sich akademieintern nicht bewährt hatte, mußte später auf Druck ‘des Hauses’ wieder eingestellt werden, freilich als Einziger. Die gleichzeitig stattfindende endgültige Auflösung der Filmklasse und ihre Umwandlung in eine Werkstatt (6.7.1977) [40] , die Berufung Bechers für Fotografie ein Jahr zuvor, sowie die Berufung Paiks zwei Jahre später (Bildhauer-Klasse!), verbergen endgültig die Widersprüche und leiten einen objektgebundenen, soliden, bildhauerischen Gebrauch neuer Medien ein. Reusch sieht dem ‘nicht vertretbaren Dilettantismus’ Einhalt geboten und Kricke profiliert sich durch die wenig sachkundige Frage nach Farb- und Schwarz-Weiss-Kameras. Der Bildhauer Reusch erklärt in der Rh.P vom 16.7.1977, daß man die Kameras ja verkaufen könne, "da das Filmmaterial zu teuer ist, und dann nur noch Video machen". Etwa zur gleichen Zeit wird in der Presse vermerkt, daß der Filmklassenbeschluß geradezu grotesk anmutet, wenn man sich vor Augen hält, daß der neugegründeten Fotoklasse mit nur 6 Studenten ein richtiger Professor (Becher) vorsteht, (der während der nächsten 20 Jahre das ‘neue’ Medium Fotografie mit seinem rigiden Konzept besetzen (!) wird). Kurze Zeit vorher ist die ‘Klasse für angewandte Grafik’ bereits aufgelöst und in eine zentrale Einrichtung ‘Entwerfen-Schrift-Buchkunst-Perspektive’ überführt worden. Im gleichen Jahr bildet der Senat eine Komission (Megert und Gomringer) für die Gestaltung der Informationsbretter des AStA und anderer politischer Gruppierungen (Plakatierungsbeschränkung) und verfügt, daß dem AStA Räume nur noch zu hochschulpolitischen Zwecken gewährt werden. Die 1976 eingeführten Klassen ‘Integration Bildende Kunst und Architektur’ stehen für das Ende jeglicher Form von Institutionskritik und garantieren während des nächsten Jahrzehnts rein formale und ungeschichtliche Bezüge zu Architektur und Raumverhältnissen. Eine frühe Ausstellung der Rinke-Klasse mit dem programmatischen Titel "Letztes Mal hast du doch gesagt, daß du keine Kunst machst" offenbart 1976 den Schnitt und die hereinbrechenden 80er-Jahre.

9.    Logik des Feldes:
Die Karriere ist lediglich die Zeit, die gewartet werden muß, bis das Wesen sich realisiert.

"Jetzt gilt es, Harmonie, Lesbarkeit aufzustellen. Oder wie ich bereits einmal in einem Gespräch zu Oswald Wiener 1982 gesagt habe, ich bin einer von denen, die Gesetze aufstellen, die Pluralismen beenden, damit Revolutionen wieder stattfinden können." (Lüpertz, Wolkenkratzer, 4/86)

Wie stark Ideologien gedehnt werden können, zeigt die Kricke-Nachfolge 1981. Müßte jetzt laut eigenem, vehement erkämpftem Selbstverständnis (der gegen die demokratische Mehrheit durchgesetzten provisorischen Satzung von 1976) ein "gestandener freier Künstler" und Professor (Freie Kunst) neuer Direktor werden, bemüht man sich zu Beginn der 80er Jahre um den ehemaligen Leiter der Düsseldorfer Kunsthalle und amtierenden Direktor des Museum Ludwig in Köln Karl Ruhrberg. Für diesen wandelt man im gleichen Jahr eigens einen ‘Lehrstuhl für Malerei’ in ‘Kunst und Öffentlichkeit’ (!) (Fachbereich 1) um, den drei Jahre später Kaspar König antritt. "Von hier aus" 1984 festigt die neuen Düsseldorfer Trends, fördert die marktfähigen Strategien der 80er Jahre und öffnet, wie Buchloh Ende der 70er Jahre neue Kanäle und Sichtweisen aktueller Kunsttrends.

Eine produktive Situation zwischen Kunstmarkt und staatlichen Institutionen, sowie die historisch losgelösten Auseinandersetzungen um Kunsthochschulgesetz und Satzung zwischen Wissenschaftsministerium und Akademie, vermitteln in den 80er Jahren den falschen Eindruck einer Akademie jenseits diskursiver Vereinbarungen.

Zu Beginn der 90er Jahre findet dies seinen akademischen Ausdruck in den ideologischen Verschalungen dieses ökonomisch erfolgreichen Modells. Die Dominanz der Administration einer liberalen und demokratischen Gesellschaft produziert die ekstatische und metaphysische Ideologie einer postindustriellen Malerschule. Denn was die Beamten politisch bejahen, müssen sie ästhetisch verneinen, um so den Mythos einer Substanz jenseits "gesellschaftlicher und diskursiver Prozesse sozialer Kämpfe", - einen staatsfreien Bereich [41] zu behaupten.

So diskreditiert eine monolithische, hier als klassische Malerschule spezialisierte Kunstakademie nicht nur andere Ansätze und Medien, sondern auch die damit verbundenen Arbeits- (Produktions-) und Lebensformen (wie z.B. die Wohngemeinschaft ‘Proletarisches Filmkollektiv’ in der Grafenberger Allee 286 in den frühen 70er Jahren). Dies führt zum Verlust von ganz bestimmten Erfahrungsbereichen und Problematiken [42] . Waren Fragen einer Kunstgesamthochschule (Fachbereich Kunst und Design der Fachhochschule Köln) und der Anspruch auf ‘Autonomie’ während der 80er Jahren die letzten Überbleibsel einer anderen Zeit, so wird 1988, zwei Jahre nach Beuys' Tod, sein durch einen Vergleich zugestandener Raum 003 (Freie Internationale Universität), jetzt 002, in einer symbolgeladenen Handlung des neuen Rektorats in ein Professoren-Casino umgewandelt. Damit wird der letzte geschichtliche Bezug zu den 70er Jahren eliminiert. Ein neues Vokabular (Poesie) schafft die Grundlage für polemische Undifferenziertheit einer programmatischen Geschichtslosigkeit oder Indifferenz gegenüber Differenzen, die die inhärenten Möglichkeiten dieses Modells (Schule-Akademie-Kunstmarkt-Akademie) auf ein Minimum reduziert: Ein neu gestärktes und sich als geschichtliche Konstanten darstellendes Meister-Schüler-Jetzt-Verhältnis, in welchem rituelle Handlungen zu archetypischen Erinnerungen werden, die sich von Generation zu Generation fortsetzen, beginnt sich auch gegenstandsunabhängig zu etablieren. In diesem Sinne werden in den 80er Jahren Meisterschüler-Selbstbewerber nicht mehr zugelassen und später der "Lehrstuhl für interdisziplinäre Projektentwicklung" abgeschafft. Mit der Stärkung der Klassenstruktur kommt es zu einer weiteren ideologischen Verschleierung der eigenen Bedingtheit. Der Schritt zurück an die Akademien, verspricht, sich (der Notwendigkeit) gesellschaftlicher und sozialer Kämpfe entziehen (z.B. Kunstmarkt) zu können. Die geordnete Form sozialer Auseinandersetzung, der geschützte Raum einer akademischen Realität, bedeutet die Aufhebung eines Gegensatzes (Matrix), die Entschärfung einer Situation, und führt zu einem akademischen Leben in ‘Unschärfe’. Die Aufhebung eines Konfliktes und die Entstehung eines Privilegs: Finanziell unabhängig und somit von einem bestimmten Konfliktpotentional frei zu sein etabliert eine Lebens- und Produktionsform sowie ihre Überführung in einen höheren bürgerlichen Zustand.

Die Klassen entsprechen den Professoren. Organisations- und Lernformen werden ausschließlich personal hergeleitet, z.B.:

„Ich habe auch in einer großen Klasse studiert, es ist wichtig, daß man um seinen Platz kämpfen mußte, daß die Auseinandersetzungen notgedrungen stattfanden und sich der Stärkere so durchsetzen mußte“.

Oder:

„Es ist schlecht, an der Akademie zu arbeiten, ich nehme nur Leute auf, die auch außerhalb arbeiten können“.

Das hat zur Folge, daß innerhalb dieser rigiden Mikrokosmen spezifische Aufstiegs- und Bildungswege stattfinden, die sich einerseits auf eine vorhandene, bestimmte Situation beziehen, z.B.: Schüler von dem oder dem zu sein. Das kann referenziell - je nach Position - Schutz, Belohnungen oder andere Erleichterungen nach sich ziehen. Gleichzeitig bergen sie die Problematik in sich, daß bereits besetzte Positionen nur noch minimale Weiterführungen erlauben, und die daraus möglicherweise resultierenden Karrieren einen nicht sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit besitzen. Jeder Professor führt in diesem Sinne seine kleine Kulturpolitik (Regulation seiner Position), indem er bestimmte Verhaltensweisen sanktioniert - hier wird nur gemalt, oder fotografiert usw. - und andere wiederum nur dort unterstützt und fördert, wo sie seine Position festigen. Die Klasse garantiert in ihrer homogenen Struktur minimale Erfahrungskomplikation und produziert so einen diskursiven Stilwandel,

"insofern, als die in der Wirklichkeitserfahrung überkommenen Vereindeutigungen und Konsensuskonstruktionen aktuell erlebten Notwendigkeiten nicht mehr gerecht werden und deren Überdetermination dann in der Ästhetisierung, der Wirkungseinheit ‘Kunst’ thematisiert wird, um dort in einer neuen Vereinheitlichung, in einem neuen Stil wieder Erfahrbarkeit(en) und Verfügbarkeit(en) zu antizipieren" (Heubach).

Arbeitsteilige Prozesse und Spezialisierungen tun dann das Übrige und produzieren durch die Schaffung mehr oder weniger willkürlicher Projektionen und Investition von Bedeutungen, Mehrwerte. Diese unangetasteten ‘Konventionen der Strukturierung von Bedeutung’, lassen gleichzeitig diese ästhetische Praxis zu einem System akademisch vermittelter Sprachkonventionen und Interaktionsklischees werden.

Ausgestattet mit denselben Eigenschaften, haben die Jungen und die Alten nur unterschiedliche Grade der Vollendung erreicht. Das alles schafft eine Welt ohne Überraschungen und erleichtert den Ausschluß derer, die andere Werte, andere Interessen, andere, die althergebrachten entwertenden, disqualifizierenden Kriterien einführen könnten.

Notizen und Anmerkungen:

So muß man die am stärksten konnotierten Produktionsfirmen durchlaufen, um zu sehen, wie Formvariationen, Symbole, Mehrwert, bestimmte Perspektiven und Karrieren, die Mythen des Ästhetischen, die Inszenierung der Produktion wie der Rezeption, die Gefühlstechniken und die ästhetische Virtuosität, akademisch produziert und verteilt werden.

Das bedeutet auch das Analysieren von ästhetischer Praxis und Symbolproduktion innerhalb von

1. Abgelegenen Orten, Orten ohne Kunst-Produktions-Fabriken, aber den gleichen, internationalistischen oder importierten Normen und Bedingungen.

2. Kleinen Fabriken, die immer Formen größerer und wichtigerer Fabriken durchreflektieren, variieren und verarbeiten und in Bezug zu diesen stehen, (NY-Pläne, was auch für kleine, abgelegene Orte gilt).

3. Orten mit ausgeprägtem antiakademischem, theoriefeindlichem und gesellschaftskritischem Habitus, welche "autodidaktisch", meistens anders spezialisiert (politische Subkultur, Musik, Häuserkampf, etc.), gerade durch ihre "Unkenntnis“ der Produktionsbedingungen den Mythen dieses Systems erliegen oder völlig unkritisch (naiv) und unqualifiziert darin arbeiten.



[1] Stefan Aust: Der Baader Meinhof Komplex. Hamburg 1986, S. 53.

[2] Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen. Berlin 1990, S. 17

[3] Der Versuch bei Beuys, "einen ‘abstrakt-universellen Humanismus’ (Steiner) und die privat-obsessive ästhetische Praxis durch eine Organisation in eine Synthese zu bringen und so die Dimension einer politischen Praxis in ein ästhetisches Spektakel zu verfälschen" (Buchloh), schafft eine widersprüchliche Situation innerhalb der Akademie und seiner Klasse; Stüttgen beschreibt die Gründung der DSP in ‘Der ganze Riemen’: "‘Johannes’ schreit sie ganz aufgeregt und außer Atem, ‘du sollst sofort in die Akademie kommen, Beuys gründet heute Nachmittag um vier Uhr eine Partei! Er hat vor seinem Atelier, Raum 3, schon ein Schild aufgestellt und dich überall gesucht. Du sollst die Presse benachrichtigen!’ Ich bin wie vom Blitz getroffen. Das ist ein Hammer! Heute Nachmittag um vier? Eine Partei gründen? Mir wird ganz weich in den Knien“. Johannes Stüttgen: Auszug aus ‘Der ganze Riemen’ in Brennpunkt 1. ‘22.Juni 1967 - Die Gründung der Deutschen Studentenpartei.’ Düsseldorf 1987, S. 142

[4] Anthony Thwaites, Kritiker, Kricke-Freund und Dozent für zeitgenössische Kunst an der Akademie, beschreibt die Situation aus seiner Sicht: "Durch eine Serie von Manövern erreichte Beuys, dass die AStA-Vertretung bei der Vollkonferenz mit den Professoren und in anderen Gremien auf acht Mann erhöht wurden. Von diesen acht sind fünf aus den Klassen von Joseph  Beuys und Dieter Rot, die praktisch identisch sind. Beuys, seine Studenten, die Professoren Warnach und Wimmenauer und auch Mitglieder der DSP von auswärts arbeiteten als Fraktion gegen die Individuen, als Politiker gegen unpolitische Menschen. Mittlerweile aber - durch einen Beschluß vom 11. November 1968 in der Aufnahmekonferenz, bei einer Beteiligung von sechs Professoren und acht Studentenvertretern - wurde festgelegt: jeder Professor darf nach eigenem Ermessen, in eigener Verantwortung und ohne Diskussion, so viele neue Studenten nehmen wie er will." Zusätzliche Ängste löste die Beteiligung Außenstehender, also nicht eingeschriebener Personen aus, wobei besonders Klinkhammer, als rhetorisch versierter Bundesbahnangestellter, die Gemüter zu erhitzen wußte. "In einer Vollversammlung am 28.2.68 stellte Kuhna einen Antrag, nach dem über Mitsprache- und Stimmrecht akademiefremder Personen (insbesondere des Mitglieds der DSP Klinkhammer, der sich bereits in Klassenratssitzungen als rabulistischer Dialektiker erwiesen hatte) abgestimmt werden sollte. Diese Abstimmung wurde von der Mehrheit der AStA-Mitglieder verwehrt. Darauf verließen zwei Drittel der Anwesenden mit Protest die Versammlung. Während der Lidl-Woche wird Nicht-Immatrikulierten der Zutritt zur Akademie verweigert. "Professor Beuys gibt auf einem Plakat bekannt, daß er persönlich Studenten und Gäste zu einem Gespräch in Raum 20 einlade. Es wurde Professor Beuys unter Androhung von Polizeigewalt verweigert, nicht immatrikulierte Personen in die Akademie einzuladen. Am 5.12.68 gründete ein Teil von ihnen die Freie Vorläufige Studentenvertretung (fvs), die sich laut Protokoll nicht als Anti-AStA verstanden wissen wollte." (Bobek, 20.1.69). Probleme mit Außenstehenden gab es schon früher einmal, nur wurde das Problem 1869 (!) so gelöst, daß man der außerakademischen Opposition, Sitze im Senat der Akademie anbot, um sie dadurch auf ihre Seite zu ziehen.

[5] Mit der Ablösung eines Wortes durch ein anderes verändert sich die Sicht der sozialen Welt, und kann dadurch zu ihrer Veränderung beitragen. Eine Begrifflichkeit, die eine veränderte Funktion von Kunst suggeriert, ruft diese immer auch mit hervor. Anders ausgedrückt, bringt ein Vokabular, das die herrschenden Dispositionen zu politisieren beginnt, immer auch eine Politisierung.

[6] Am 8. Februar 1968 versucht Günther Brus in einem Happening in der Aula der Kunstakademie mit rohen Eiern, einer Schnur, einem Kissen sowie einem Paket mit Fleisch, Ereignisse wie Essen, Schlafen, Liebe und Geburt darzustellen. Bereits nach 15 Minuten verlassen die ersten Zuschauer die Aula. Eine ähnliche Darstellung zwei Tage zuvor an der Technischen Hochschule Aachen wird wegen "Handlungen, die das normale sittliche Empfinden verletzen" angezeigt. Eine Woche später kommt es zu einem Meinungsaustausch über Mitbestimmung der Studenten, Rundgang und Meisterschüler-Selbstbewerber. Am 3. März richten Reinecke und Immendorf den LIDL-Raum in der Blücher-/ Parkstrasse ein, es folgen "Teach-Ins" und "Aktionswochen" während des ganzen Jahres. Von Mai bis Juni werden vom AStA mehrere Filmprogramme in der Aula organisiert, so unter anderem "Chelsea girls" von Warhol. Panamarenko zeigt im Gang der Kunstakademie sein Flugzeug. Am 9. Dezember Bau der Lidl-Akademie. 55 Studenten schreiben sich ein. Immendorff erhält Hausverbot.

[7] "Hier wird jetzt Immatrikulation gefeiert" die ‘Selbstimmatrikulation’ gegen die Politik der Selektion als ein Mittel der Repression oder Steins "Mitbestimmung: Wenn es Trier paßt". Trier ist der damalige Akademiedirektor.

[8] Vgl. Erinna König im Gespräch mit Büro Bert: ‘Kunstpraxis um '68’ in "COPYSHOP" und Chris Reinecke im Gespräch mit Isabelle Graw in ‘TZK’.

[9] Karl Bobek: Offener Brief an den Deutschen Journalisten-Verband e.V. Bobek behauptet weiter, "daß in allen genannten Vorgängen und Symptomen, - Beuys, die DSP und seine Klasse -, im Zusammenhang mit Gestus und Vokabular, eine quasifaschistische Latenz nicht mehr zu verkennen" ist. "Beuys ist nicht Initiator revolutionärer Bewegungen. Weder dem Happening und der Fluxus-Bewegung, noch den studentischen Unruhen, gab er den originären Anstoß. Aber er adaptiert ihren Mythos, in dem er sie ästhetisch durchreflektiert". Düsseldorf, 20.1.1969.

[10] Dieter Rots Forderungen gehen teilweise auf Reformversuche nach 1945 zurück. Damals scheiterte der zum kommissarischen Direktor berufene Mataré an seinen weitreichenden Reformabsichten. Diese versuchten durch das Herabsetzen des Mindestalters auf 14 Jahre, sowie durch eine Studiendauer von 12 Semester eine Art Gegenpol zur Gymnasialausbildung zu schaffen, um damit nicht ausschließlich sozial Privilegierten den Zugang zur Akademie zu ermöglichen. Der Unterricht sollte neben handwerklichen Fertigkeiten jede Form von Bildung beinhalten. "Die in Matares Konzept enthaltene Ablehnung beamteter Professoren, der starke Einsatz für die Beschäftigung flexibler nebenberuflicher Lehrkräfte und die damit verbundene Prognose einer Etatsenkung, führten zu heftiger Kritik seitens der Akademie. Am 7. Januar 1946 verfügt Oberpräsident Dr. Lehr im Einvernehmen mit der Militärregierung und dem Regierungspräsidenten den endgültigen Widerruf der Ernennung Matarés.

[11] In einem Merkblatt für Studienanfänger warnt die Kunstakademie die "Neuen" vor dem Eintritt in den Eiskellerberg. "Wir legen jedem einzelnen nahe, seine Bewerbung nochmals zu durchdenken und möglicherweise zurückzuziehen, wenn er nicht ein Jahr seiner Ausbildungszeit verlieren will." Ursache dieses Fanals sind katastrophale Raum- und Lehrverhältnisse, der Fortfall des ‘Numerus clausus’ und die Aufhebung der Zulassungsprüfungen. Die Kunstakademie tritt damit für die Freiheit des Lernens und für die Offenheit einer nicht-normierten Kunst ein. (Aus NRZ v. 2.10.70)

[12] Die mögliche Nicht-Korrelation zwischen der sozialen Position (Professor) und der ‘Einstellung’ von Beuys wurde von Matare und dem Ministerium vorausgesehen: Matare wehrte sich 1958 als ehemaliger Lehrer gegen eine Berufung von Beuys. Beuys' Verbeamtung wurde bis zu seiner Entlassung mit Erfolg verweigert. Die Koinzidenz zwischen den in einer Position eingeschriebenen Anforderungen und den dafür in Frage kommenden Personen beruht auf Mechanismen, welche Individuen auf Positionen hinlenkt, für die sie von vorherein zugeschnitten sind, - sei es, daß sie sich für Posten wie geschaffen fühlen, die für sie geschaffen sind - „der Effekt der ‘Berufung’ als antizipierte Zustimmung zum Objektiven, durch den praktischen Bezug auf die typische Laufbahn innerhalb der Herkunftsklasse aufgezwungenen Schicksal" (Bourdieu) -, sei es, daß sie den aktuellen Stelleninhabern so vorkommen. ‘Soziales Altern’ ist somit nichts anders als Trauerarbeit, oder die gesellschaftlich erforderte Verzichtleistung, welche die Individuen dazu bringt, ihre Wünsche und Erwartungen den jeweils objektiven Chancen anzugleichen.

[13] Das Institut beginnt seine Arbeit in einem 700 qm großen Pavillon. Mehrere der hierfür neuberufenen Lehrkräfte hatten sich 1969 innerhalb eines Anti-AStA gegen Lidl, Beuys, die DSP und andere profiliert, insbesondere Arseniew, Kuhna und Zellmann.

[14] Nach dem Scheitern der von Szeemann konzipierten Ausstellungen ‘Das Ding als Objekt’ in der Nürnberger Kunsthalle und der großen Happening-Dokumentation im Kölnischen Kunstverein 1970, geraten die Pläne für die Dokumenta 5 1971 in ‘die Krise’. Die im ersten Konzept genannte ‘Ereignis-Struktur’ als 100-Tage-Happening, wird auf die ‘Dokumentation’ (Punkt 1 der ursprünglichen Konzeption) reduziert. Später werden auch die als selbständige Abteilungen geplante Besucherschule, Theater-Experimente und Spielfilm aus finanziellen Gründen abgesagt. In ihr offenbart sich wohl das früh institutionalisierte Scheitern des Aufbruchs und die Erosion des ‘materialistischen Standpunkts’.

[15] Beuys-Interview für die Zeitschrift ‘Kommunikation’, Nr.1, Düsseldorf 1973. Peter Holtfreter, Susanne Ebert, Manfred König, Eberhard Schweigert.

[16] Später schreibt Buchloh in seinem Text ‘Götzendämmerung’, daß ästhetische Realitäten ebenso konkret und spezifisch sind "wie die politischen, in denen sie sich historisch konstituieren. Politisches Bewußtsein und die aktivistische Dimension der ästhetischen Praxis konkretisieren sich daher in ebenso spezifischen Aktionen, wohl kaum aber in jenen globalen Spekulationen und utopischen Schwärmereien, die Beuys als die politische Dimension seiner ästhetischen Praxis vorgestellt hat. So nimmt gerade seine Idee vom messianischen Künstler seiner Arbeit jede politische Realität". Und auch Broodthaers distanziert sich kurz vor Beuys' Entlassung in einem in der Rheinischen Post und ‘Interfunktionen’ abgedruckten ‘Offenen Brief’: "Ich bin kaum einverstanden mit der Position, die Du beziehst, und auf jeden Fall erkläre ich meine Ablehnung, wenn Du in einer Definition der Kunst die der Politik mit einschließen willst - Magie? - Mein lieber Wagner, unsere Beziehung ist schwierig geworden. Dies ist gewiß die letzte Mitteilung, die ich Dir sende. (...) Welchen Zwecken dienst Du, Wagner? Warum? Wozu?" Er spielt dabei auf Beuys' Verhalten an, anläßlich einer zur gleichen Zeit stattfindenden Ausstellung "Amsterdam-Paris-Düsseldorf" im New Yorker Guggenheim-Museum, die eine Ausstellung Haackes zensuriert hatte. Tatsächlich ist es schwierig, mit Beuys' widersprüchlichen Handlungen zu leben.

[17] 1973 nimmt Beuys Bezug auf die Entlassungen der Nazis und meint in einer Klageschrift für seine Wiedereinstellung, daß Rau die Kunst nicht dadurch schänden dürfe, "daß er nach dem Vorbild totalitärer Staaten - möglicherweise nach sowjetischem Vorbild, um die Ostverträge mit Leben zu erfüllen -, sowohl dem Hochschullehrer als auch den Studenten die künstlerische Betätigung unmöglich mache". Aus verwerflicher, machtpolitischer Gesinnung wolle Rau zeigen, daß, "wie 1933 ein Paul Klee auch 1972 ein Joseph Beuys dem rechtsverhöhnenden Willen" eines Ministers gebeugt werden müsse (FAZ, v. 13.11.72). Beuys distanziert sich jedoch in der Güteverhandlung wiederum von diesem Vergleich.

[18] Beuys: "Ich kämpfe für alle Hochschüler" (Stuttg. Ztg. v. 14.10.72).

[19] Dieter Rot kündigte bereits im Mai 1969 nach den Lidl-Ereignissen und der damit verbundenen Akademieschließung mit der Begründung, daß er "das diktatorische Verhalten des Direktors, die Unaufrichtigkeit und Unduldsamkeit unter den Professoren und die allgemeine Gewalttätigkeit an der Akademie nicht länger ausstehen" könne. In einem Protokoll zu den Ereignissen heißt es: "(...) gegen 21 Uhr erschienen ca. 50 Polizisten, um die Akademie zu räumen. Professor Beuys erklärte, daß er unter diesen Umständen seinen Raum nicht weiter zur Verfügung stellen könne und forderte die Anwesenden auf, die Akademie zu verlassen. Die Mehrzahl befolgte diese Aufforderung nicht und wurde daraufhin von den Polizisten hinausgedrängt oder -getragen".

[20] Buchloh, wie Thwaites expliziter Beuys-Antipode und Ende der 70er Jahre wichtiger Ideologe und Vorbereiter der 80er Jahre, unterliegt später gleichsam seiner eigenen Kritik, indem er Richter verklärt - dieser sei heute der deutsche Künstler neben Beuys! - um so dem von ihm kritisierten Avantgarde-Publikum ‘andere’, gleichwohl verfälschte Radikalitätsmomente und Projektionsflächen zu verschaffen, (siehe Buchlohs peinlichen Text zur Richter-Arbeit "18. Oktober 1977" oder sein Dokumenta-Text in "TZK # 8").

[21] In Bourdieus Worten: "Wenn die soziale Heredität eine so gewichtige Rolle in der Reproduktion der Körperschaft spielt, (...) dann deshalb, weil, wie bei Krisen, die einen tiefgreifenden Wandel in der sozialen Zusammensetzung nach sich ziehen, anschaulich wird, daß dasjenige, was diese Art extrem selektiver Clubs am nachdrücklichsten abverlangen, sich nicht auf der Schule lernen läßt, sondern, unter Voraussetzung früher und andernorts gemachter Erfahrungen, dem Körper in Form dauerhafter Dispositionen eingeschrieben ist, die für ein Ethos, eine körperliche Hexis, eine bestimmte Art und Weise des Sprechens und Denkens, eben für all das eminent körperliche "gewisse Etwas" grundlegend sind, und was wir mit dem Wort Geist bezeichnen."

[22] Norbert Kricke: ‘Beelendung der deutschen Kunstakademie’. In: Studio Rheinland, Norbert Kricke und seine Schüler. Ausstellungskatalog des Bonner Kunstvereins im Rheinischen Landesmuseum Bonn 1969, S. 13 - 14. Kricke veröffentlichte bis 1973 mehrere Artikel zur Hochschulproblematik, u.a. ‘Zurück zur Akademie. Blockieren Kunsterzieher den Betrieb an den Kunsthochschulen?’ in der FAZ vom 6. Jan. 1969.

[23] Dadurch, daß Kricke seine eigene Situation (Beamter in einer Institution) nicht erkennt, tut er das Naheliegende und versucht die Kreise (Beuys, Lidl, RZK etc.), die ihn und sein Symptom (Unfreiheit) um 1967 zu politisieren beginnen, auszulagern. Er schafft die Basis zu einer Entwicklung, die in den 90er Jahren ihre Repräsentanz findet: die Akademie als homogene und hegemonistische Malerschule.
Immer die Utopie einer anderen, "freien" Akademie beschwörend, das Komplementär seines Symptoms, verspielt Kricke die Chance einer differenzierten, aus Widerstand und Widerspruch geborenen, heterogenen und fluktuierenden ‘split identity’. Intuitiv tut er das, was das sozialdemokratische Politische von ihm erwartet, nämlich einen Zustand vor '67 zu reaktivieren, bis zur völligen Konstitution des Komplementärs seiner Utopie, seines Symptoms (Unfreiheit), Leben in einem Vakuum, Reglementierung und Stärkung der Verwaltungseite. Die ‘Reaktion’ verstärkte gleichzeitig die Logik dessen, was sie zu bekämpfen vorgab. Denn zur inneren Kohärenz eines Abwehrplans hat Kricke den Bruch zwischen den Kategorien noch vertieft.

[24] Norbert Kricke: "Die neue Akademie. Kunst ist nicht lehrbar. Es gibt keine Regeln für die Kunst. (...) Der Künstler ‘lehrt’ nicht, sondern ist Beispiel und Hilfe. Die Begegnung mit ihm ist von größter Wichtigkeit für den jungen Menschen. Hier erlebt er, wie Künstler sind, wie sie denken und handeln. Er erlebt, wie sie sehen, und erkennt mehr und mehr die Welt, die später seine werden soll... ." Düsseldorf, Mai 1973.
Das Kulturreferat des AStA kommentiert ein Jahr später: "Neben den Künstlern bewegen sich satellitengleich flinke Jünglinge, schlichtend eingreifend, wenn eine Diskussion zu heftig, verteidigend ihren Meister, emsig bemüht, Arbeitsgruppen zu bilden (...). Wir verlassen das Gebäude und treten in einen Garten; Buchsbäume und Hecken, Teiche und künstliche Irrgärten, - wir sind im Orientierungsbereich. Durch ihn muß jeder Schüler einmal gehen. Wir begleiten einen Schüler auf einer Wiese mit Gänseblümchen, unser Direktor flüstert uns väterlich ins Ohr: "Ich habe da einige seltene Gräser gesät - die sollen Sie suchen und finden." Es ist Friede: Erschüttert und voll Dankbarkeit verlassen wir die Akademie und sind uns einig, das man Reservate erhalten muss."

[25] Das erste ‘Rahmenkonzept’ der Filmklasse sieht ein verstärktes soziales Engagement vor: "Die Filmklasse versteht sich selbst in ihrer Form und Praxis auf der gleichen Ebene wie die anderen künstlerischen Disziplinen an der Kunstakademie. Das im Augenblick grundlegende Thema in der Filmklasse ist, daß der Filmkünstler nicht nur sich selbst als Betrachter und Schöpfer erlebt, sondern auch in seiner Arbeit als aktives Mitglied der Gesellschaft. Unter Erneuerung der Filmkunst verstehen wir heute eine engere Kommunikation zwischen Zuschauer und Filmkünstler, das heißt, daß die Arbeit dahin tendiert, Filme für Zielgruppen herzustellen, und daß der Filmkünstler in der vorbereitenden Arbeit sich selber durch sozialen Kontakt mit der Zielgruppe in seiner Filmarbeit miteinbezieht. Diese Konzeptvorstellung schließt nicht aus, daß auch Platz ist für individuelle, formelle Projekte, - solange diese Projekte eine Auseinandersetzung mit der Hauptzielvorstellung sind: Erneuerung der Filmkunst."

[26] Die parallel zur Filmklasse gegründete und Kollektivarbeit praktizierende "Filmgruppe Düsseldorf" mit Mommartz, Morgan, Kaminski, John, Kohlhöfer und Neddermann zeigen '72 im Filmforum Düsseldorf die vier Filme "... wenn Du erst mal drin bist", "Eisenheim", "Brennende Halde" und "Sichere Energie". Alle vier Filme behandeln soziale Themen wie den Tagesablauf eines Bergarbeiters, die geplante Umsiedlung der Bergarbeiter-Siedlung "Eisenheim". John versucht aus eigener Initiative außerhalb der Akademie ein Filmmilieu aufzubauen, unterstützt von Filminstitut und Kunsthalle Düsseldorf.

[27] Kricke erklärt, daß John zwar als Dozent eingestellt wurde, jedoch nicht dazu berechtigt sei, über Aufnahmen zu entscheiden oder Zeugnisse auszustellen, da die Filmklasse sich lediglich als Werkstatt verstehe und als Nebenfach der Theaterklasse somit keinen vollgültigen akademischen Abschluß ermögliche. Für die Hälfte der KL-Studenten bedeutet diese ‘Anmaßung’ Johns, daß zwei Jahre Studium nicht angerechnet werden. Der Einwand Johns, daß die Akademie seine ausgestellten Zeugnisse und Unterschriften jeweils bestätigt habe, kontert das Wissenschaftsministerium mit der Begründung, das sei sein Problem und das der Studenten.

[28] Dieser Begriff des ‘Neuen’ ist insofern trügerisch, als das Neue in dieser Situation auf der einen Seite die Ausgrenzung derjenigen Kräfte beinhaltet, die sich - in welcher Qualität und Ausrichtung auch immer - für eine Veränderung der Strukturen eingesetzt haben. Auf der anderen Seite hat sich nicht nur das Kräfteverhältnis untereinander verändert: Rot, Beuys, Lachera, Sesselberg, Thomkins, später Warnach und John waren weg, und die jetzt dominierenden, durch Propaganda und linke Agitation zu recht problematisierten Positionen hatten durch die Erfahrungen ihrer angeblich denunzierten ‘Unfreiheit’ eben auch eine neue Mentalität produziert: die einer ‘freien’ = entpolitisierten, homogenen und warenförmigen Kunst als Abwehrhaltung. Etwas früher als diese vorschnelle ‘Erlösung’ als Rückkehr an die Akademie, - die eigentlich nie richtig verlassen worden ist-, richtet sich bereits 1967 der Kunstmarkt in Köln und Düsseldorf ein. Gegründet durch den ‘Verein progressiver deutscher Kunsthändler’, wird dieser zu einem bestimmenden Faktor, der über Jahre hinaus die Metropole aktueller Kunst nach Köln und Region verlagert. Je stärker der Markt, desto freier ist in deren Logik die Kunst.
Die von 1972 an berufenen Künstler stellten ihre eigenen Praktiken und deren Bedingtheit nie in Frage und garantierten diese neue Qualität von Akademismus.

[29] Die ehemalige "Beuys-Klasse" kritisiert im Februar 1973 den AStA mit den Worten: "Der sich zum größten Teil aus roten Zellen zusammensetzende AStA hat sich in besagter Konferenz ‘einsichtig' gezeigt und toleriert, daß zwei Drittel der Neubewerber kein Probesemester erhalten. (...) Es ist der Eindruck entstanden, als sei der AStA, insbesondere der Vorsitzende Wolf und Genossen, den eigenen Worten untreu geworden und als hätten sie, mit der einstig bekämpften Bourgeoisie auf einer Bank sitzend, zustimmend mitgenickt."

[30] Der Beuys-Schüler und AStA-Vorsitzende Stein erhält später als DKP-Mitglied Ausbildungs- und Berufsverbot. Nach Protesten kann er seinen Vorbereitungsdienst zum Gymnasiallehrer 1975 nach einer Entscheidung durch das Kultusministerium zwar aufnehmen, wird jedoch ein Jahr später nicht in den Schuldienst übernommen. 1980 wird ihm, nun DKP-Vorstandsmitglied, per Gerichtsbeschluß eine Übernahme endgültig verweigert, weil er nach Überzeugung des Schulkollegiums nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Insbesondere seine Vorstandsmitgliedschaft wird dabei als Aktivität einer möglichen Verfassungsfeindlichkeit interpretiert.

[31] Angela Petersen (AStA der Akademie): "Kunst und Musik nicht in die Gesamthochschule?" In: Düsseldorfer Studenten Zeitung, Dezember 1973. Weiter unten Klaus Stein (Spartakus AMS/ AStA-Vorsitzender) in: "Mitbestimmung und wissenschaftlicher Pluralismus in der Akademie."

[32] Stein (AStA)

[33] Direktor bis ‘72 und Professor für Kunstgeschichte.

[34] Dieser O-Bereichs-Rundgang wird von den Studenten mit der Begründung abgelehnt, daß aufgrund der Bedingungen im O-Bereich das einzig objektive Kriterium einer Prüfung Fleiß sein kann: "Die Bereitschaft, hier weiter zu studieren, geht aus dem Fakt der Ausstellung eigener Arbeiten hervor. Alle Studenten, die ausstellen, haben somit die Probesemester erfolgreich bestanden." Weitere Kriterien sind reine Instrumente bestimmter Kapazitäts- Fragen (Numerus clausus).

[35] Der Minister für Wissenschaft und Forschung annullierte am 31.10.1974 wegen Verfahrensfehlern eine Abstimmung des damaligen Senats (5.7.1973) und verhinderte so die Berufung des linken Künstlers Alvermann. Später wird eine Dozentin des Hauses berufen.

[36] Die jetzige Rezession hat gezeigt, daß politisches Bewußtsein eng an das eigene soziale Milieu gebunden ist. Studenten aus sozial schwächeren Familien haben durchwegs mehr Probleme sich in dem bürgerlichen Dispositiv Kunst zurechtzufinden. ‘Arm’ zu sein ist mit ganz anderen Ängsten und Belastungen verbunden, als bei Mitstudenten anderer Bildungsmilieus, die diesen Zustand besser als dem Diskurs innewohnende Logik, als vorübergehende und zukünftig in andere Formen sublimierbare verstehen können. Erst so ist es aber möglich, nötige Wartezeiten und Bezahlungsformen auszuhalten. Erfolglosigkeit und daraus resultierende Armut ist somit weniger eine Frage der physischen Not, sondern stärker ein psychisches Problem. Je nach Selbstbild und Selbsteinschätzung, Bildungshintergrund, sowie verfügbaren Kapitalarten, verändert sich die Bedeutung des Momentanen in Bezug zum Möglichen.

[37] "Die zunehmende Bedeutung der kulturellen Infrastruktur sieht der Soziologe Gerhard Schulze vor dem Hintergrund, daß sich der Kulturbetrieb mehr und mehr zum "Erlebnismarkt" entwickelt. Und dieser ist ein ausgesprochener, wenn nicht der Wachstumsmarkt der Gegenwart schlechthin. Nach der NRW-Studie hat keine Branche in den Jahren 1980 bis 1988 eine auch nur annähernd hohe Wachstumsrate vorzuweisen wie die "Kulturwirtschaft", nämlich zwischen 65 und 76%, gegenüber dem Einzelhandel +33%, gegenüber dem Maschinenbau +23%, verglichen mit dem Baugewerbe +2%. Differenziertheit und Qualität von Kulturwirtschaft und Erlebnismarkt werden in den 80er Jahren zum entscheidenden Faktor für die Konkurrenzfähigkeit eines Orts." (Rudolf Schilling: "Die volkswirtschaftliche Bedeutung des sogenannten Schönen". "NZZ" Nr.122, 28.5.94, Zürich).

[38] Im Februar und Juli 1975 zeigt die Filmklasse im Workshop "Brücke" verschiedene Filme der ersten beiden Jahre. Der Film "Liebesglut" von Hilke (S8/7Min) beschreibt, wie ein entschiedener Nichtraucher eine Zigarette zu rauchen versucht. "Ponte-Initiativen portugiesischer Künstler" von Bender und Brandt (16mm/ 22Min), skizziert das gesellschaftliche Umfeld bildender Künstler im revolutionär brodelnden Portugal von 1974 und zeigt, wie diese auf die veränderten Verhältnisse reagieren, welche Initiativen sie entwickeln und wie sich die neuen Bedingungen auf ihre Arbeit auswirken. "Konrad Gladis, 59 Jahre" von Barbara Wanstrath (16mm /25Min) beschreibt die Situation eines Arbeiters bei Mannesmann und versucht das Typische seiner Situation herauszuarbeiten. "Oscar B. oder Der Imperialismus" von Erinna König (16mm s/w/45Min) dokumentiert anhand von Bildmaterial aus einem Bremer Firmen- und Familienarchiv ein Kapitel der Kolonialgeschichte - Teeplantagen auf Ceylon. "Der große Krieg" von Udo Labuch (S8/ 12Min), in seinem Vorspann Hollywood-like aufgezäumt, behandelt in einer Koppelung von Trick- und Realszenen, - Spielzeugpanzerschlachten werden mit Fernsehbildern moderner Dschungel-Schlachten (Vietnam) gemixt, das Thema Kriegsspielzeug. - Die Filmklasse zeigt zwischen '74 und '76 Arbeiten auf den Festivals von Krakau, Oberhausen, Mannheim, Grenoble, Solothurn und Nyon.

[39] Ein Vorschlag von Bobek sieht dafür einen künstlerischen Leiter (Professor), einen Theoretiker, einen Techniker und Geräteverwalter vor. Da der Ausbau der Filmklasse wesentliche Haushaltsmittel in Anspruch nimmt, wird die Ausstattung dieser Klasse innerhalb des Etats nur mit einem besonderen Ansatz befürwortet. Bereits 1973 verbesserten die Bedingungen der jetzt ‘offiziell’ zu einer Filmklasse aufgewerteten Abteilung durch den Umzug in neue Räumlichkeiten und der Investition von 150.000,- DM. Mit dem Geld werden dringend benötigte Geräte angeschafft: 3 Kameras 16mm (40.000.-DM), 2 Kameras S8 (4000.-DM), 1 Mischpult (20.000.-DM), 2 Video-Kameras/ 3 Recorder (30.000.-DM), Vertonungstisch (35.000.-DM), 2 Projektoren 16mm (18.000.-DM). Die Produktionskosten müssen von den Studierenden weiterhin selber getragen werden. Auf der Rückseite der Akademie neu in Betrieb genommene Pavillonbauten bieten auf 250 m2 bessere Arbeitsbedingungen, so unter anderem ein Studio, ein Vorführraum, ein Schneideraum und andere Einrichtungen. Die Haltung des Senats gegenüber der Filmklasse ist zu diesem Zeitpunkt noch ambivalent. Thurn betont z.B., daß die Akademie nicht am Medium ‘Film’ vorbeigehen könne und hält auch eine theoretische Schulung für wichtig. Auf der anderen Seite will man eine Ausbildung von Lehramtsstudenten in Film verhindern. Im Großen und Ganzen erachtet man die Klasse als zu groß, ist aber am Medium prinzipiell interessiert, - wenn auch in anderer Art und Weise.

[40] In einer Diskussion über Status und Namen der Werkstatt erklärt Graubner, "daß der neue Dozent genau wissen müsse, was ihn hier erwartet, daß er keine künstlerische Klasse habe, sondern daß er von den Studenten der künstlerischen Klassen frequentiert wird." Kondering schließt sich diesen Ausführungen an und äußert die Befürchtung, falls man sich anders verhalte, habe man hier wieder die "16 mm-Leute" sitzen. Heerich stört sich weiterhin an dem Begriff ‘Werkstatt’ und plädiert für einen „Lehrstuhl Film“. Richter schlägt "Institut für Film und Video" vor. Der Vorschlag von Richter wird abgelehnt, da man befürchtet, daß aus diesem Begriff wieder eine eigenständige Vorstellung abgeleitet werden könne. Graubner schlägt vor: "Künstlerische Werkstatt für Film". Sibbel schließt sich der Meinung an, die Filmklasse als Einrichtung des ganzen Hauses einzurichten. Heerich berichtet, dies sei genau die Vorstellung gewesen, die das die Filmklasse einrichtende Gremium seinerzeit gehabt habe. Nie wäre man von einer anderen Idee ausgegangen. Die Filmklasse habe sich nur im Verlaufe der Zeit vollkommen anders entwickelt, entgegen den Zielvorstellungen des damaligen Gremiums. (Senatssitzung vom 6.7.1977)

[41] Die anläßlich des Golfkrieges 1991 vom AStA geplanten Veranstaltungen und Vorträge (Studieninitiative ‘Kunst und Politik’) während des Rundgangs werden mit der Begründung der ‘künstlerischen Bestimmung’ der Akademie untersagt und müssen dann notgedrungen durch die Teilnahme des Honorarprofessors Staeck akzeptiert werden.

[42] So erfordert die Organisation eines Films (Einsatz von Technik, Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten, Sicherstellung der Finanzierung, Delegation von Arbeiten, etc.) andere Begabungen und Leistungen und führt zu anderen Erfahrungen und Problematiken. Es ist also nicht egal, wie sich jemand finanziell organisiert, denn verschiedene Möglichkeiten sind auch mit verschiedenen Erfahrungen verbunden. So wirken sich Faktoren wie Krankheit, (Erfahrungserweiterung durch Krankheit) Arbeitslosigkeit, schwere körperliche Arbeit, schlechtbezahlte Arbeit, soziale Ungerechtigkeit, Unfallgefahr genauso aus wie Stipendien, finanzieller Erfolg, herkunfts- oder auch anders bedingte finanzielle Sicherheit, etc. Jede soziale Situation problematisiert eine Arbeit auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Es gibt keine künstlerische Arbeit unabhängig von ihrer sozialen Situation.

 
Dokumentation Kunstakademie 1970er Jahre
  
 
    
Zuletzt überarbeitet 15.05.2003