Ludwig XIV Kuckuckskind

 

In einer komplizierten Geheimaktion ließ Kardinal Richelieu aus italienischen Waisenhäusern Neugeborene beschaffen, von denen der kräftigste dann Hauptdarsteller einer fingierten Geburt werden sollte. Melbo publizierte früher unter dem Namen Volker Elis Pilgrim und war vor allem für die Männerbewegung der 1970er und 80er Jahre Impuls gebend. Er lebt heute abwechselnd in Neuseeland und in Deutschland.


Aus der Ferne näherte er sich einer Ikone abendländischer Geschichte, jenem absolutistischen Herrscher, dem viele Duodezfürsten nacheiferten. Ludwig XIV. ist, so Melbo, der größte europäische Königsfetisch. Dass die nicht leibliche Abstammung aus dem Königshaus mehr ist als eine pikante Anekdote, dass er Auswirkungen hatte auf die ganze europäische Geschichte, davon handelt Melbos Buch "Die Königsfälschung. Louis XIV. - Operation Kronprinz", das gerade im Osburg Verlag erschienen ist. Max Melbo / Volker Elis Pilgrim jetzt im Gespräch. Er nennt zunächst die Indizien für die Fälschung.


Melbo: Die Mutter ist hochblond, die kommt aus Spanien-Österreich und die waren immer blond, blauäugig und hatten diese bestimmte Habsburger Unterlippe und die hat Ludwig XIV. nicht. Ludwig XIV. ist dunkelhäutig, braun. Dann hat er als Baby mehrere Merkmale, die nicht dafür sprechen, dass er mit Null das Licht als König der Welt erblickt hat. Er hat schwarze Augen, die aber bei einem Baby noch nicht schwarz sein dürften, sondern so verwaschen, bläulich. Da freuen sich Eltern: Ach, das Kind hat blaue Augen, aber in Wirklichkeit ist es ein noch nicht funktionierendes Farbmelanin. Melanin ist noch nicht da. Dann die zwei Zähne. Er ist angeblich mit zwei Zähnen auf die Welt gekommen und er war besonders groß. Und er hat schon wüst Ammen zerschlissen, natürlich mit diesen zwei Zähnen und er brauchte acht Ammen.

Das sind erstmal so rein physiologische Belege, nun gibt es aber noch viele andere, dass ein großer Aufwand getrieben wurde mit der Propaganda der Ankunft dieses Kindes. Das Elternpaar war schon ziemlich alt für damalige Zeiten, nämlich Ende Dreißig und hatte schon 23 Jahre verheiratet keine Kinder hervorgebracht. Das musste dem Volk irgendwie nahegelegt werden. Also hat man religiös gearbeitet, man hat ihn prophezeien lassen. Man hat astrologisch gearbeitet, man hat ein Horoskop errechnet nach dem nun der beste Moment für Ludwigs Erscheinen zu konstruieren sei. Dann waren die Eltern schwul und lesbisch, die Mutter gebärunfähig, was man heute nicht hundertprozentig beweisen kann, aber ich konnte zumindest die Schwangerschaftsabbrüche, die man ihr nachsagt doch ausschließen.

Asel: Unterschiebungen hat es ja immer gegeben, insbesondere, wenn man weiß, dass im Gottesgnadentum es eben notwendig ist, dass es eine direkte Abstammung geben soll. Warum war das so eine besondere Katastrophe, dass Ludwig XIII. und Anna von Österreich als schwul-lesbisches Paar kein Kind haben wollten, kein Kind bekamen?

Melbo: Das eigentliche Problem - und damit komme ich zum Täter - war für die Kardinalskorporation in Rom, die merkte, dass Frankreich schon etwa seit anderthalb Jahrhunderten im Erdrutsch Richtung Protestantismus war. Es gab in Südfrankreich das Königreich Navarra, dort waren Protestanten schon Herrscher in dritter Generation. Was für die korporativ organisierten Leute in Rom die Katastrophe war, denn Frankreich über die anderen Kronerben hätte immer mehr, zumindest ein unabhängiges Frankreich werden können. Das gab es schon unter Franz I., der hat ein Konkordat 1516 mit dem Papst geschlossen, dass er bestimmt, wer Bischoff und Priester wird. Also gab es die Angst, wenn das so weiter geht, wird Frankreich als gesamtes katholisches Land bröckeln und es werden keine Gelder mehr nach Rom fließen.

Asel: Nun schreiben Sie dies ja nicht als Historiker, sondern Sie sind unter anderem Psychoanalytiker. Das heißt, Sie kommen mit einem etwas anderen Blick auf diese Ereignisse. Fragen wir zunächst, wie die Geschichtswissenschaft damit umgegangen ist, warum hat sie selber, die Geschichtswissenschaft, da so wenig genau nachgeschaut, wenn doch, wie Sie zeigen, so offensichtliche Fakten, zumindest Unstimmigkeiten da sind.

Melbo: Zunächst bin ich kein Quereinsteiger, sondern unter den eigenhändig geschriebenen zwölf Büchern sind sechs schon historischen Inhalts, das heißt also, ich bin geübt, historisch zu arbeiten. Wie geht man mit Quellen um, wie guckt man in die Gesellschaft, was ist da unstimmig, das habe ich gemacht. Ich habe mich gewundert, dass die universitär fakultativ Organisierten sich Fachwissenschaftler nennen, wenn Historiker immer etwas übernehmen, um Fragen zu stellen, muss man Löcher im Kopf haben. Ich habe es einmal so versucht zu formulieren. Es wird von Wissenschaftlern immer eine Allwissenschaft verlangt, Sie müssen alles wissen. Das ist auch identisch mit dem Altwissen. Dadurch sind wir zuwenig neugierig auf Neues.

Wenn wir Löcher im Gehirn haben, wie ich - also, ich weiß einfach viele Dinge nicht. Ich hatte zum Beispiel andere Gebiete in der Geschichte drauf, aber Ludwig XIV. nicht. Ich musste mich wirklich völlig einarbeiten und deswegen auch mein Staunen. Was ist denn da los? Was passiert hier? Ich arbeite literarisch, ich schreibe so, dass man sagen kann, es ist eigentlich Belletristik. Ich habe keine normalen Sachbücher. Das ist eine Sachdramatik. Also bin ich gewohnt mit Texten umzugehen, kann Dinge beobachten, wie dass es bei Ludwig XIV. einen Bruch gibt, in den Memoiren, rein schriftstellerisch. Die Memoiren, bevor er es wusste, dass er beschafft ist, und nachher. Also, er hat es erfahren 66 beim Tod seiner Mutter, die hat es ihm gestanden, kurz vor ihrem Sterben. Und da ist der Stil seiner Memoiren ganz anders, künstlich, blockiert. Es ist wie so ein Haushaltsplan, er macht nur noch Listen auf, Rechtfertigung und er verliert den Schmelz der Sprache. 

Dann habe ich noch ein Wissen dazu, was ich Relatiologie nennen möchte. Das heißt, die ganzen Beziehungswissenschaften, die nennt man Familienforschung, Geschwisterkonstellation, Partner, Gender, Geschlechterbeziehung untereinander, Eltern-Kind-Beziehung. Das alles habe ich in der Zeit nach meinem offiziellen Universitätsstudium dieser drei Studien Jura, Soziologie, Psychoanalyse dann entwickelt und unter diesem relatiologischen Blick ist ja immer der Männerforscher gewesen, der also ganz bestimmt mit dem Mann umgehen kann und da sind mir auch unendlich viele Unstimmigkeiten bei Ludwig XIV. aufgegangen. Zum Beispiel seine Perücke.

Asel: Ja, sprechen wir über diese merkwürdige Perücke, die er ja auch einführt, die es so vor ihm ja nicht gibt.

Melbo: Es gab wohl schon bei seinem Vater eine etwa 13 Jahre getragene Perücke, aber das hat nicht der ganze Hof getragen. Der hatte eben schüttere Haare, der Ludwig XIII. aber Ludwig XIV. hat ja daraus eine Staatsperücke gemacht. So hieß sie damals. Allongeperücke ist ein späteres Wort im 19. Jahrhundert und er hat es später verlangt, von allen Höflingen, bis ganz Europa. Man kann es nicht fasse, wieso Männer so folgewütig sind. Einer macht irgendeinen Quatsch und dann machen sie es alle. Händel, Leibniz - alle haben diese Riesendinger, die die Franzosen ja Grande Perruque nennen, also große, riesengroße Perücke, oder Perruque carrée, das heißt also, die das Gesicht des Mannes wie eine Behausung umragt, und da ist er geschützt. Und natürlich hat Louis das gebraucht, als er gewusst hat, dass er gar nicht von Königen abstammt.

Ich habe es im ersten Satz des Buches so formuliert: Der Sonnenkönig Ludwig XIV. ist ein Tonnenkönig. Das heißt, er ist aus dem Misthaufen der Gesellschaft hergeholt worden, aus Süditalien, aus Waisenhäusern, von solchem Kontingent besteht Ludwig XIV. Und das ist für einen damaligen König eine Katastrophe gewesen. Es musste also eine Art Distanz schaffen, einmal für sich selbst, eine Behausung in dieser Bedeutung und die Perücke ist ja nicht nur einen Männerfrisur, sondern sie geht auch noch nach oben. Ich muss sagen, sein Gesicht sieht aus wie ein Vagina-Popo. Dass da ein vaginales Phänomen sich ihm auf den Kopf setzt.

Asel: Und dass dies nicht nur ein Anhängsel ist. Ein anekdotisches Element zeigt ja wie Ludwig XIV. reagiert hat, nachdem er, wie Sie schreiben, erfahren hat, dass er nicht zu den Blaublütern gehört. Sein Umgang mit dem Adel, sein Umgang mit dem Volk, sein Umgang mit anderen Ländern, dass er in Speyer die Gräber der Kaiser schändet, das ist im Grunde genommen auch der Junge, der aufgestiegen ist, und der sich wehrt.

Melbo: Dass er die Gräber der Kaiser zerstören musste - eigentlich hätte er ja von denen abgestammt. Das ist ja vollkommen sinnverbrannt, Leute zu zerstören, als Leichen, auf die er sich eigentlich bezogen hätte müssen. Denn seine Mutter ist, wenn man diese Erbfolge verfolgt, sowohl Abgestammte von Maximilian I., dem deutschen Kaiser und der hat ja Enkel gehabt, die für unser Kulturbewusstsein so berühmt sind, Karl V. und Ferdinand I. und von den beiden kommt die Mutter, wenn sie die richtige Mutter gewesen wäre. Wieso zerstört Ludwig XIV. das, also seine eigenen Vorfahren? Weil es eben nicht seine Vorfahren sind. Er kann es nicht aushalten. Einem damaligen König wird ja alles zugegrinst, dass er auch so eine Etikette eingeführt hat. Kein französischer König war wie Ludwig XIV. so etikettiert im Abstand vom französischen Volk. Man durfte sich ihm normal nicht nähern. Die Könige vor ihm, noch sein Offizialvater, Ludwig XIII., hatten ein lässiges Verhältnis zum Hof, zum Volk. Die konnte man anfassen. Die konnte man sehen, die ritten und winkten und so weiter. Ludwig XIV. war immer inszeniert. Er war ein ganz befähigter Königsdarsteller und deswegen auch die Verblüffung der Welt bis heute.

Saint Simon, einer der wesentlichen Beobachter Ludwigs XIV. hat in seinen Memoiren geschrieben: Er war eigentlich ein Bauer, der ein Superschauspieler war, der hervorragend die Rolle des Königs spielen konnte. Und Bauer, nun, das hat der Saint Simon natürlich nicht so original gewusst, ich glaube es nicht, dass Louis tatsächlich aus irgendwelchen ländlichen Ressourcen aus den Abruzzen in Italien herkommt.

Asel: Ich sagte eingangs, Ludwig XIV. ist der größte europäische Königsfetisch, das heißt, er wirkte auch nach. Sie haben es angedeutet. Man imitierte ihn in Duodezfürstentümern, auch gerade die imitierten ihn, die selber politisch eigentlich schon weiter gegangen waren, also durchaus Macht teilten, Macht abgaben. Er spielt aber natürlich auch im historischen Verständnis, beispielsweise in Frankreich nach wie vor eine große Rolle. Sie wollen ihn ja auch ein bisschen von diesem Thron stürzen.

Melbo: Ich glaube, es geht ganz einfach darum, dass wir doch zusammenwachsen. Wir entnationalisieren uns. Ich denke, bei dem Zerschmelzen der Nationen, die nun nicht Krieg mehr führen, sondern ineinander übergehen, ist es wichtig, dass Frankreich nicht an so einem Nationalfetisch festhält. Johann Gottlieb Fichte hat ja mal gesagt, Ludwig XIV.  ist eines der fürchterlichsten Ausgeburten des französischen Nationalcharakters, so ungefähr hat er gesagt. Und eigentlich war der französische Nationalcharakter gar nicht mehr so da. Henri IV. hat mit seinem Mitarbeiter, mit dem zusammen er Frankreich regierte, dem Herzog von Sully, ja schon eine europäische Gemeinschaft imaginiert. Und das ist durch Ludwig XIV. vollkommen nach hinten gerückt. Frankreich trauert dem nach, es findet keine richtige Emanzipation von Louis statt und ich glaube, wenn das durch ist, wenn die Franzosen akzeptieren, ach so, der war eine Fälschung und der ist eigentlich historisch gefälscht mit uns umgegangen, dass sie dann besser, auch ihren Nationalcharakter überwinden können, weil sie immer noch die Bücher über Louis mit Gloire als erstem Wort beginnen. In der ersten Zeile kommt das schon vor: Ruhm. Sogar der Larousse zitiert den Louis, das Beste, was ein französischer König tun kann ist für seinen Ruhm zu arbeiten. Ja, aber frag mich nicht nach den drei Millionen Toten! Die Franzosen haben unter Ludwig XIV.  so gelitten wie überhaupt noch nie vorher.

 

 

 

Die Fachwissenschaft herausgefordert hat Max Melbo. Das Buch "Die Königsfälschung. Louis XIV. - Operation Kronprinz", ist im Osburg Verlag erschienen.

Umgeschichtet - Vergangenheit aus der Nähe betrachtet von Harald Asel.

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Texte: Max Melbo Interview